Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Porzellan.
»Ich fühle mich einfach … nun ja, in gewisser Weise eingekreist«, sagte ich. »Und sehr allein. Aber vielleicht muss ich ja allein sein, um mir über verschiedene Dinge klar zu werden.«
»Sie brauchen vielleicht Freunde. Meinen Sie das?«, rügte Fay mich vorlaut.
»Nein, ich brauche keine Freunde. Neue schon gar nicht. Nicht jetzt. Bei dem Zustand, in dem ich momentan bin, würde ich ohnehin nur miese Freunde anziehen.«
Fay rührte mit einem Cocktailstab in ihrem Drink. »Na gut.« Sie leckte den Stab ab. »Aber wenn Sie Ihre Meinung ändern sollten, dann bin ich für Sie da. Das wissen Sie doch, oder? Sie haben mein ganzes Leben verändert.«
Ich ließ meinen Blick über die Neonbuchstaben über dem Royal Court Theatre gleiten, über die Menschen, die der U-Bahn-Schacht am Sloane Square verschlang, über die Weihnachtsbeleuchtung und die fröhlich plappernde Menschenmenge im Café. Alle Menschen trafen sich mit Freunden, alle hatten etwas vor. Die ersten Weihnachtsfeiern fanden statt, der ganze Dezembertrubel lag spürbar in der Luft. Dies war die Zeit, in der man die Einsamkeit am deutlichsten fühlte, dachte ich traurig. Es gab keine andere Zeit im Jahr, in der man sich so allein vorkommen konnte. Hatten all diese Fremden denn jemanden, der auf sie wartete? Der sie begrüßte, wenn sie zu Hause die Tür öffneten?
Ich schüttelte den Kopf, um diese düsteren Gedanken zu vertreiben. Dann zog ich den Geldbeutel aus der Tasche. »Können Sie bitte die Rechnung begleichen? Ich habe noch eine lange Fahrt vor mir. Ich sollte jetzt gehen.«
»Natürlich.« Fay versuchte, mir die Zehnpfundnote wieder zuzustecken, die ich auf dem Tisch gelassen hatte. »Fahren Sie in Urlaub?«
Versonnen lächelte ich sie an. »Ja, das könnte man so sagen. Wir sehen uns, okay?«
Als ich wegging, hatte ich einen flüchtigen Augenblick lang den Eindruck, sie habe mir etwas nachgerufen, doch ihre Stimme ging im Summen des vorweihnachtlichen Lärms unter. Und ich sah nicht zurück.
Kapitel 39
Ob die Geister der Verstorbenen wohl hier an diesem Teil der Autobahn herumlungerten, auf der ich um Mitternacht am Seitenstreifen stand? Versammelten sie sich hier und tauschten die Geschichten ihres Sterbens aus in dieser kalten Winternacht?
War der kleine Haufen dort etwa Fay? War ich die Gestalt, die aus dem Klumpen tödlichen Metalls geschnitten und durch ein zersplittertes Fenster gezogen wurde? Lag ich da wirklich, neben Fay, die zu röcheln begann? Und drehte ich sie um, damit sie wieder atmen konnte, bevor ich mich vor Schmerz wieder zurücksinken ließ? Dankten die Autofahrer, die den Fuß vom Gaspedal nahmen, um einen entsetzten Blick auf all die Körper zu werfen, die man pietätvoll zugedeckt hatte, ihrem Gott? War dies der Körper der Hobbitfrau, die in ihrer leblosen Hand immer noch Jane Austens Northanger Abbey hielt? Ihre murmelnden Lippen waren ein für alle Mal zum Stillstand gekommen.
War dies vielleicht das Paar, das eng umschlungen auf dem Sitz vor mir gesessen hatte? Der Tod hatte ihre Umarmung bis in alle Ewigkeit verlängert. Der große Junge, der den Mittelgang durchquert hatte, lag auf dem Mittelstreifen, neben einem schreckensstarren Mann, der ohne einen Kratzer geblieben war.
Der Junge hatte die Augen aufgeschlagen und war ganz langsam aufgestanden. Dann war er an den Straßenrand gehumpelt und hatte mit blutunterlaufenen Augen ins Flutlicht der Polizei geblickt. Wenig später kam ein Sanitäter und legte ihm eine Decke um die Schultern. Dann ließ er sich ins Gras sinken und starrte den verstümmelten Kadaver eines Schecken an. Tot. So tot wie die alte Dame, deren weißer Haarschopf unter einer anderen Decke hervorlugte. War das etwa die alte Maggie? Hatte ich in diesem schrecklichen Unfall vielleicht einen Teil meiner selbst zurückgelassen?
Ich starrte die dunkle, nasse Straße an und fühlte, wie mir eine Träne warm über die eiskalte Wange lief. Ich begann zu zittern und versuchte, die düsteren Gedanken aus meinem erschöpften Schädel zu bannen. Auch die Bilder von Alex und Fay, wie sie zusammen lachten, tranken, sich amüsierten. So gut ich konnte, versuchte ich, diese Hirngespinste auszublenden. Erst da merkte ich, dass ich fror.
Ich verkroch mich im Auto und knuddelte den Hund, bis mir wieder wärmer war. Dann stellte ich das Radio an, drehte die Heizung auf und fuhr zur nächsten Tankstelle. Ich kaufte Tee und Schokolade und im Gedenken an Bel auch eine Ausgabe der Vogue .
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