Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
Vom Netzwerk:
offensichtlich geweckt hatte.
    »Entschuldigung.« Frustriert knallte ich den Hörer auf. Mein Blick fiel auf die Uhr an der Wand. Es war doch noch recht früh.
    »Acht-neun-acht«, murmelte ich. »Neun-acht-neun.« Wie konnte man sich nur an seine eigene Telefonnummer nicht mehr erinnern? Ich unternahm einen dritten Versuch. Irgendwo hatte ich in den Tiefen des Unfalls von letzter Nacht offensichtlich meine eigene Telefonnummer gelöscht. Und meine Adresse.
    Natürlich ging er nicht ran. Alex ging nie ans Telefon, nicht einmal, wenn er wach war. Und um diese Zeit schlief er wahrscheinlich noch. Oder … Ich hielt den Gedankengang brutal an. Nein, natürlich würde er schlafen. Er schlief ja so tief, wenn er erst einmal eingenickt war. Ich würde in einer halben Stunde noch mal anrufen. Dann wäre er sicher schon aufgestanden. Er würde zur Arbeit gehen und nicht einmal wissen, dass etwas passiert war. Vermutlich würde er sich ein bisschen Sorgen machen, aber …
    Ich legte den Apparat zurück und strich mir das Krankenhaushemd über den Knien glatt. Irgendwie war mir merkwürdig zumute. Und ich fror.
    Als ich schließlich in mein Bett zurückkehrte, war das Bett neben mir leer. Kein Schluchzen mehr zu hören. Die kleine Krankenschwester, die das Bett abzog, sah nicht in meine Richtung, sondern erledigte mit zusammengebissenen Zähnen ihre Arbeit. Ich fing an zu zittern, meine Zähne klapperten. Die nette Krankenschwester kam zurück. Besorgt sah sie mich an.
    »Ich habe Ihnen ein wenig Tee gebracht, der Zucker wird Ihnen guttun. Und die Polizei ist jetzt da. Die Beamten werden Ihnen alles erklären.«
    Als sie mein Kissen zurechtrückte, sah ich das Blatt Papier auf dem Klemmbrett. »Überlebende« stand da unmissverständlich in dicken schwarzen Lettern. Mein Magen rebellierte. Wie konnte ich auf einer Liste landen? Ich war doch diejenige, die Listen machte. Ich stellte lange Listen von Menschen zusammen. Diese Listen befestigte ich an einem Klemmbrett, das ich dann eng an meine Brust drückte, damit niemand außer mir die Namen lesen konnte. Und dann strich ich in diesen Listen Leute durch. Wenn sie kamen, strich ich ihren Namen durch. Wenn sie nicht kamen, ärgerte ich mich. Ich geleitete sie wie ein braver Schäferhund durch die Studiogänge. In der Garderobe erzählte ich ihnen dann, was sie zu sagen hatten. Ich jedenfalls stand auf keiner Liste. Ich wollte auf keiner Liste stehen. Ich wollte von dieser Liste herunter und hier heraus. Ich wollte, dass Alex kam und mich holte.
    Beim vierten Versuch ging Alex ran.
    »Gott sei Dank.« Erleichtert fing ich an zu weinen. Und konnte nicht mehr aufhören.
    »Was?«, erklang es am anderen Ende der Leitung.
    »Gott sei Dank, dass du da bist.«
    Er war müde und nicht besonders gesprächig. In den frühen Morgenstunden war er immer so. »Warum weinst du denn?«
    »Entschuldige.« Ich atmete tief durch, damit mein stoßweises Weinen sich legte. »Es geht mir gut, mach dir keine Sorgen.« Wieder drängte ich die Tränen zurück. »Kannst du kommen und mich holen?«
    »Wie spät ist es?«
    Vermutlich hatte er einen Kater.
    »Ich weiß nicht. Ich bin hier im Krankenhaus.«
    Vermutlich? Er hatte ganz sicher einen Kater. In letzter Zeit war das ja an der Tagesordnung.
    »Komm und hol mich, Alex, bitte.«
    »Machst du verdammt noch mal Witze?«
    Mein Gehirn weigerte sich, das Gehörte zu verarbeiten. »Wieso? Was meinst du?«
    »Warum sollte ich kommen und dich holen?«
    »Weil ich … es hat einen Unfall gegeben.«
    »Ach, wirklich?«
    Jetzt war mir nicht mehr nach Weinen. Der Schock saß zu tief. Aus irgendeinem Grund dachte er, dass ich log.
    »Alex«, flüsterte ich.
    »Ja?«
    »Warum bist du nur so? Ich brauche dich. Ich bin im Krankenhaus.«
    Pause. Ich spürte, wie er über irgendetwas nachdachte. Ich hörte, wie er tief Luft holte, und als er sprach, hatte seine Stimme einen düsteren Klang angenommen. »So ein Pech für dich, Maggie.«
    Es klickte. Mein Freund hatte offensichtlich aufgelegt.
    Am Ende kam mein Vater und holte mich ab. Ich saß wie betäubt in meinem Krankenhausbett und zermarterte mir das Gehirn, immer wieder aufs Neue. Sobald mein Vater in der Tür auftauchte, war ich aus dem Bett. Mein Gott, ich wäre den Flur hinuntergerannt, hätte ich das gekonnt. Doch der Rollstuhl, den die nette Schwester gebracht hatte, schimmerte schwarz neben meinem Bett. Ich wollte nicht in den Rollstuhl. Stattdessen klammerte ich mich an den Arm meines Vaters, als wolle ich

Weitere Kostenlose Bücher