Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
war, daher war er mir beim Galoppieren immer wieder über die Augen gerutscht. Schließlich war ich knallrot und vollkommen außer Atem. Ich sah gar nichts mehr, nicht meine Mutter, nicht das Winken, nur noch meine kleinen Hände, die sich in die Mähne des Ponys krallten, während ich tapfer versuchte, die Kontrolle zu behalten.
»Da war … ich denke, da war wohl ein Pferd.« Mit einem Mal hatte die Stimme der Schwester einen alarmierten Unterton. Sie dachte einen Augenblick nach, dann meinte sie: »Sie waren im …«
In diesem Moment kam der Arzt herein. Sein weißer Mantel leuchtete am Fuß des Bettes auf. Er war sehr groß und hatte ein Gesicht wie ein Adler. Ja, genau wie ein Adler, dachte ich. Seine Nase bog sich nach unten wie ein Schnabel. Er sah das Krankenblatt an, das an meinem Bett hing, dann richtete er seine Augen auf mich.
»Mrs Warren.«
»Ja.«
»Geht es Ihnen besser?«
Besser im Vergleich wozu?
»Ich weiß nicht.«
»Die Vitalfunktionen sind in Ordnung, Sir.« Die Schwester zog das Band von meinem Arm und steckte etwas Piependes in mein Ohr.
»Gut, gut.« Er inspizierte meine Lippe. »Schöne Nähte. Abschürfungen?«
»Keine tief gehenden, wie’s aussieht.« Die Schwester nahm das piepende Ding aus meinem Ohr.
»Es ist nur …«, fing ich wieder an.
»Was?« Der Arzt schien ungeduldig. Wollte er zum nächsten Bett? Das hinter geschlossenen Vorhängen stand. Dicht geschlossenen Vorhängen.
»Ich kann mich nicht erinnern, was passiert ist. Warum ich hier bin.«
Der Arzt sah die Schwester fragend an. Diese richtete den Blick auf ihre Schuhe.
»Weiß eigentlich irgendjemand, dass ich hier bin?« Ich dachte an Alex und setzte mich im Bett auf. »Ich muss meinem Freund Bescheid geben.«
»Ich hole die Liste.« Die Schwester schien froh, endlich einen Vorwand gefunden zu haben, das Zimmer zu verlassen. Aus dem Bett nebenan waren plötzlich Geräusche zu hören. Aus dem Bett, das ich nicht sehen konnte. Jemand weinte und schluchzte ganz erbärmlich. Das Geräusch ließ mich erstarren.
»Ich würde gerne aufstehen«, fing ich an, doch der Arzt war schon am Bett nebenan. Ich wusste, ich konnte hier nicht liegen bleiben, nicht neben dieser Wand aus jammernden Geräuschen, die immer lauter wurden. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich würde aufstehen und ein Telefon suchen. Dann würde ich Alex anrufen, damit er kam und mich abholte. Behutsam schwang ich meine Beine aus dem Bett. Der Schmerz fuhr mir wie eine Klinge ins linke Bein, doch ich versuchte, ihn zu ignorieren. Ich musste diesem Schluchzen entkommen.
Ich kam bis zur ersten Doppeltür, bevor der Schmerz so zunahm, dass mir übel wurde. Die nette Schwester stützte mich, als ich mich gerade gegen die Wand lehnen wollte, wie gelähmt vor Schmerz. Sie geleitete mich zu einem alten Sessel und hielt kurz meine Hand, während ich mich erholte. Ein Paar in mittleren Jahren eilte durch die Tür. Die dauergewellte Frau presste ein Taschentuch gegen den Mund, um ihr Schluchzen zu dämpfen. Ein junger Mann mit Regenhut folgte ihnen. Silberne Wassertropfen lösten sich von seinem Hut. Als er an mir vorüberging, fiel ihm sein Telefon aus der Hand. Es fiel mir genau vor die Füße.
»Entschuldigung«, murmelte er und hob es wieder auf. Er sah die Schwester. »Wir suchen meine Freundin. Sie war auch in dem Bus.«
»Gehen Sie zur Information«, antwortete sie und deutete in die Richtung, aus der die drei gerade gekommen waren. »Dort liegt die Liste aus.«
Ohne ein weiteres Wort rannte er den Flur wieder hinunter, das ältere Paar ihm hinterher. Eine alte Frau im Bett gegenüber begann zu stöhnen. O Gott.
»Ich muss meinen Freund anrufen«, sagte ich, als ich wieder kräftig genug war, um zu sprechen. »Er wird sich Sorgen machen. Ich bin noch nie eine ganze Nacht weggeblieben.« Stimmte das überhaupt?
»Gehen Sie in Ihr Bett zurück. Ich bringe Ihnen gleich das Telefon.« Dann aber wanderte ihr Blick durch den Saal, in dem alle Krankenschwestern zwischen den pastellfarbenen Vorhängen hin und her wuselten. Ein Karren wurde durch die Doppeltür gestoßen, was wohl endgültig dazu beitrug, dass sie ihre Meinung änderte. Sie schob mir das Telefon neben den Sessel. Und ich versuchte, nicht auf das Bett gegenüber zu starren, sondern meinen Telefonanruf zu erledigen.
Erst beim dritten Anlauf fiel mir meine korrekte Nummer wieder ein. Zuerst erwischte ich ein Curry-House in Dalston, dann einen aufgebrachten alten Mann, den ich
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