Nur 15 Sekunden
keine Gefahr mehr darstellte.
Jess trat zu der Gruppe. Er warf einen Blick auf Joe. Dann sah er uns an.
«Geht es Ihnen gut?»
«Alles bestens. Danke, dass Sie gekommen sind.»
«Darcy …»
«Nein, das meine ich ganz ernst. Sie sind ja da. Wären Sie ein paar Minuten früher gekommen, hätten Sie selbst das Vergnügen gehabt.»
«Dann hat er sie also da drinnen festgehalten.» Jess hatte Courtney entdeckt, die jetzt draußen vor dem Container hockte und an dem Klebeband um ihre Augen zupfte. «Los, kümmert euch um die Frau da hinten!»
Zwei Polizisten eilten zu ihr. Sie hockten sich neben sie, einer sprach sanft auf sie ein, um sie zu beruhigen, und sie nickte, während der andere vorsichtig begann, das Klebeband von ihren Augen zu entfernen.
«Er hatte Vorräte da drinnen», erzählte ich Jess. Zum Glück begriff er, was das hieß, sodass ich es vor Ben nicht aussprechen musste: Joe hatte mich dort drinnen gefangen halten wollen. Er hatte es minuziös geplant und alles für einen langen Aufenthalt vorbereitet.
Der Kreis aus Polizisten zerstreute sich, und die einzelnen Beamten widmeten sich den Aufgaben, die jetzt zu erledigen waren. Ein Krankenwagen kam. Die beiden Sanitäter sprachen kurz mit einem Polizisten, dann verfrachteten sie Joe in einen Leichensack und legten ihn auf eine Bahre. Ein paar Polizisten inspizierten den Container, ein anderer trat zu Jess, der noch neben Ben und mir stand.
«Ich habe die Mordwaffe gefunden», sagte er.
«Keine vorschnellen Schlüsse», ermahnte ihn Jess.
«Es war Notwehr.» Ich konnte das Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken. Der Polizist hatte von einer Mordwaffe gesprochen. Lief es jetzt etwa darauf hinaus? Ich hatte gerade einen Menschen erschossen. Aber war es wirklich Mord, wenn man einen Stalker tötete?
«Sie haben getan, was Sie tun mussten», sagte Jess. «Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden sich ein Weilchen mit der Mordkommission herumschlagen müssen, aber ichwerde Ihnen die ganze Zeit zur Seite stehen. Ich kenne die Jungs. Glauben Sie mir, die werden schon begreifen, worum es hier ging.» Er musterte die Pistole, die sein Untergebener in der Hand hielt: die kleine, leichte, ihm so vertraute Pistole. Angelas Waffe.
«Hübsches Ding», sagte Jess, und in seinem Ton klang irgendetwas mit. Komplizenschaft vielleicht? «Und kein schlechter Treffer für eine Anfängerin.»
EPILOG
Die Namen der Toten
Von Darcy Mayhew und Courtney Saks
Brooklyn, New York. – Während sich die Staatsanwaltschaft der Stadt New York noch mit einer Verteidigungsstrategie gegen die Korruptionsvorwürfe befasst, die die Stadtverwaltung bis in die obersten Etagen schwer erschütterten, haben die Kriminaltechniker der New Yorker Polizei die mit Spannung erwartete Analyse jener menschlichen Knochen abgeschlossen, die im Frühherbst des Jahres auf einem Baugrundstück an der Pacific Street in Brooklyn gefunden wurden.
Auf dem Grundstück befand sich eine Fabrik für Reinigungschemikalien, die 1978 von Tony Tarentino sen. erbaut wurde, dem Vater von Tony Tarentino jun., dem das Grundstück bis vor kurzem gehörte. Vergangenen Herbst wurde die Fabrik abgerissen; das Grundstück war zuvor an die Baufirma Livingston & Sons verkauft worden, im Rahmen einer weitreichenden Zwangsräumung, durch die mehr als zweihundert Parzellen aus privater oder öffentlicher Hand eingeebnet wurden, um den Weg für das sogenannte Atlantic-Yards-Projekt freizumachen, in dessen Mittelpunkt ein neues Basketball-Stadion stehen soll. Derzeit befassen sich verschiedene Ermittlungen mit den widersprüchlichen Vereinbarungenbeim Verkauf des Grundstücks durch Mr. Tarentino, dem insgesamt neunzehn der heutigen Atlantic-Yards-Grundstücke gehört haben, sowie mit der Herkunft der Knochen.
Seit deren Auffinden setzen sich die New Yorker Bürger vehement dafür ein, dass die Identität der Toten geklärt wird. Nun konnten die Knochen mittels einer DN A-Analyse endlich identifiziert werden. Eigene Nachforschungen der
Times
haben die kurzen und doch höchst aufschlussreichen Biographien der bislang namenlosen Toten zutage gefördert.
Ralph «Einauge» Caruso starb am 12. April 1978. Als kleines Rädchen im Getriebe des Verbrecherunternehmens der Familie Figaro betätigte sich Caruso anfangs als Drogenkurier für Vinnie Figaro, dessen Sohn Vinnie jun. wenig später zum Familienoberhaupt wurde. Seit einem Feuergefecht mit der Polizei, bei dem ein Polizeibeamter ums Leben kam, war
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