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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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rannen mir von der Stirn, und Joe verschwamm kurz vor meinen Augen. Ich musste blinzeln, um den Blick wieder scharf zu stellen.
    «Er ist nicht hier.»
    «Du hast mir dieses Video geschickt!»
    Joe nickte.
    «Du hast Hugo umgebracht!»
    Er zuckte die Achseln, wie ein Kind, das einen dummen Streich weder zugeben noch lügen will.
    «Wo ist Ben?»
    «Ich sagte doch schon, er ist nicht hier.»
    Ich zitterte. Mein Herz klopfte so rasend schnell, dass ich fürchtete, jeden Moment zusammenzubrechen. «Sag mir, wo Ben ist, gib ihn mir zurück, dann erzähle ich niemandem von der Sache mit Hugo.»
    Ein Grinsen zuckte um Joes Mundwinkel. Sein ganzesGesicht war wie eine Maske, die Drohung und Friedfertigkeit aufs erschreckendste in sich vereinte. Eine solche Miene hatte ich noch nie gesehen: Es war, als stünden mir zwei Menschen in einem gegenüber. Joe war ganz offensichtlich verrückt. Und wenn ich die Gelegenheit dazu bekam, würde ich ihn töten. Aber die Pistole in meiner Handtasche schien jetzt Lichtjahre weit fort zu sein. Die Anweisungen aus dem blauen Ordner hatten wohl doch ihren Sinn: Man musste die Waffe am Körper tragen, wo man sie mit einem Griff erreichen konnte. Wie sollte ich sie jetzt aus der Handtasche ziehen, ohne dass Joe mich daran hinderte?
    «Ich sag’s dir nicht», erklärte er. «Aber ich werd’s dir zeigen.»
    «Spiel nicht mit mir, Joe.»
    Er trat beiseite, verschwand in der kleinen Küche und kam gleich darauf zurück – mit einer Pistole in der Hand. Die Waffe war viel größer als meine. Er entsicherte sie demonstrativ und richtete sie auf mich.
    «Los», sagte er und schob mich erbarmungslos aus der Wohnung auf den Flur hinaus, indem er mir den Lauf der Waffe fest in den Rücken bohrte. Ich fühlte mich wie eine Marionette, die von einem Wahnsinnigen geführt wird. Eine falsche Bewegung, und er würde mich erschießen. Jetzt hatte er mich endlich in seiner Gewalt und würde alles tun, um mich bei sich zu halten.
    Die Wohnungstür fiel hinter uns ins Schloss.
    «Nur weiter.»
    Die Haustür schlug zu. Wir standen auf der verlassenen Imlay Street, den Blick auf das Brachland, den Fluss und den sternenübersäten Himmel gerichtet. Ein Wagen bog aus der Van Brundt Street um die Ecke und kam langsam näher. Ich spürte die Mündung von Joes Pistole an der Hüfte. Er hatte einen Arm um mich gelegt. Noch nie war ich ihm sonahe gewesen. Er roch wie der Flur seines Hauses, nach Urin und irgendwie nach Fisch, was aber durchaus auch vom Fluss kommen konnte. Wir überquerten die Straße, und er führte mich auf das vermüllte, einsame Grundstück am Flussufer.
    Die kalte Luft schlug mir ins Gesicht, Steine drückten sich in meine Schuhsohlen. Je näher wir dem Wasser kamen, desto stärker wurde der fischige Geruch.
    War Ben etwa hier? Hier zwischen diesen Schutthaufen, auf diesem Friedhof kaputter Gegenstände? Mein Herz krampfte sich wie eine Faust zusammen und schlug heftig gegen die Kerkermauern meines Brustkorbs.
    Und doch: Ich würde durchhalten. Es ging doch um Ben. Mein Kind, meinen Jungen. Um ihn zu finden, würde ich alles tun, überall hingehen. Selbst wenn kaum noch eine Chance bestand, ihn lebend wiederzusehen.
    «Was hast du mit ihm gemacht, Joe?»
    «Halt die Klappe», fauchte er mich an und murmelte dann leiser: «Du und dein gottverdammter Sohn.»
    «Hast du die Gasleitung in Richs Wohnung beschädigt?»
    Joe bleckte die Zähne, die im Mondlicht gelblich schimmerten.
    «Ich weiß, dass du es warst. Und jetzt hast du mir Ben genommen. Du glaubst tatsächlich, du kannst mich haben, wenn du alle Menschen beseitigst, die ich liebe.»
    «Halt die Klappe.»
    «Aber du wirst mich niemals haben können.»
    «Ich habe dich doch schon», sagte er. «Oder nicht?»
    Vor dem letzten Container blieben wir stehen. Er war beigefarben, von Rostflecken durchsetzt und sicher groß genug, um vier Autos Stoßstange an Stoßstange zu transportieren. Ganz hinter den anderen verborgen, war er dem Flussufer am nächsten und am weitesten von der Straße entfernt, dicht an der glitzernden dunklen Wasseroberfläche. Ein schwarzer Spiegel, der den Tod verhieß. Hier würde es passieren. Das spürte ich.
    Joe würde mich töten.
    «Tu’s nicht», sagte ich. «Wenn du das tust, wirst du mich niemals haben.»
    «Im Gegenteil. Wenn ich das tue, werde ich dich für immer haben.» Er grinste plötzlich mit der gleichen Begeisterung, mit der er mich zwei Wochen zuvor an meinem Schreibtisch in der Redaktion begrüßt

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