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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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Verhandlungspartnern, dem Bauträger und der Stadtverwaltung, beim Kauf des Baulands klargewesen war. Die Stadtverwaltung dürfte kaum damit gerechnet haben, dass das Auge, das sie zudrückte, auch noch für drei Mordopfer galt, die dadurch nun auf ewig namenlos bleiben würden. Wahrscheinlich sollten die Knochen im Archiv der Spurensicherung einfach verstauben. Die Stadtverwaltung musste alles daran setzen, die Sache unter den Teppich zu kehren. Mit einer Identifizierung der Opfer war nicht zu rechnen. Und auch für Abe, für mich und für die
Times
wäre es sehr viel sicherer gewesen, das Ganze rasch wieder zu vergessen. Korrupte Geschäfte zwischen Regierung und Mafia, das war eine ebenso klassische wie gefährliche Angelegenheit.
    Doch die Knochen, wenn es sie denn tatsächlich gab, hatten ihre Geschichte zu erzählen. Es war ein Verstoß gegen die Menschenwürde, die Mordopfer weiterhin der Anonymitätund dem Vergessen zu überlassen. Tief im Herzen wusste ich, dass wir herausfinden mussten, wer sie gewesen und wie sie gestorben waren. Hugos Tod hatte mich schon viele Dinge gelehrt und lehrte mich immer noch mehr: Man verlor jemanden nur dann ganz, wenn man sich nicht mehr an ihn erinnerte.
     
    Der Nachmittag verstrich, ohne dass der erwartete Anruf gekommen wäre. Ich musste das Büro gegen vier verlassen, um dann auch ganz sicher pünktlich auf meinem Platz in der Aula von Bens Schule zu sitzen. Die M.   S.   51 in Park Slope war die beliebteste Middle School in Brooklyn, lag jedoch mindestens zehn Minuten von jeder denkbaren U-Bahn -Station entfernt. Glücklicherweise schaffte ich es rechtzeitig und verpasste nicht eine Sekunde der Aufführung, die mir anderthalb Stunden kleiner, freudiger Momente bescherte, meinen Kopf von der Knochen-Story und von Joe befreite und meine Aufmerksamkeit wieder auf das lenkte, was wirklich wichtig war. Ben war wichtig. Sein Lied war wichtig und vor allem seine Stimme, die sich kraftvoll und wendig durch die lebhafte Nummer hangelte, die sein Lehrer für ihn ausgesucht hatte. Er selbst hätte lieber eine langsame, traurige Ballade gesungen, doch der Lehrer hatte ihm stattdessen zu einem fröhlichen, humorvollen Lied geraten. Ich konnte förmlich sehen, wie ihn die gedrückte Stimmung verließ, als er dort, allein im Scheinwerferlicht, auf der Bühne stand und sang. Am Ende des Liedes brandete donnernder Applaus auf. Ich klatschte lauter als alle anderen, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Noch ehe der Applaus ganz verklungen war, hörte ich eine Stimme hinter mir.
    «Er ist toll.»
    Ich drehte mich um, und da saß Rich in der Reihe hinter mir: dunkelrotes Haar, sanfte, blaue Augen, Sommersprossenim Gesicht. Wie immer trug er Jeans und ein T-Shirt , das Praktischste für den Kunstunterricht. Von Ben wusste ich, dass Rich ein beliebter Lehrer war, den fast alle Schüler schätzten, nicht nur mein Sohn. Ich konnte mir denken, warum: Er war ein warmer, liebenswürdiger Mensch, man konnte gut mit ihm reden. Außerdem war er ungewöhnlich offen, was ihn zu einer äußerst angenehmen Gesellschaft machte. Bei unserem zweiten und bisher letzten gemeinsamen Essen   – Sara hätte wohl «Date» dazu gesagt, aber noch hatte ich nicht den Mut, es auch so zu bezeichnen – hatten wir vereinbart, uns diesen Freitag wieder zu treffen. Ich sollte ihn zu Hause in seinem Atelier besuchen, um mir seine eigenen Werke anzuschauen, die «echte Kunst», wie er sagte. Außerdem hatten wir vereinbart, unsere private Freundschaft nicht zu zeigen, falls wir uns einmal in der Schule trafen.
    «Ja, nicht wahr?»
    «Alles klar mit dir?»
    «Ich bin eine Heulsuse, da kann man nichts machen. Mir kommen immer gleich die Tränen.»
    Aber da kam auch schon die nächste junge Künstlerin radschlagend in einem roten Trikot auf die Bühne.
    Nach der Vorstellung wartete ich draußen vor der Schule auf Ben. Der Strom von Schülern und Eltern, der sich auf die Straße ergoss, wollte gar kein Ende nehmen, doch als die Letzten nach draußen kamen, war Ben immer noch nicht dabei. Ich war mit einem Mal so müde, dass ich fast im Stehen eingeschlafen wäre.
    Bis ich plötzlich, an der Ecke Fifth Avenue und 5th Street, Joe stehen sah. Adrenalin schoss mir ins Blut, und ich war im Handumdrehen so hellwach, wie es keine noch so starke Dosis Koffein zustande gebracht hätte. Was hatte Joe hier verloren?
    Ich hatte ihn noch kaum entdeckt, da war er auch schon wieder zwischen den vielen Leuten verschwunden, die die

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