Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
in der Welt herumliefen und keine Ahnung hatten, wie es ihr ging. Sie blieb lange in dieser Position sitzen, und der Mann schaute immer wieder zu ihr hinüber, während er fuhr, aber er fuhr, weg vom Vitabergspark, weg von dem weißen Opel, und das war das einzig Wichtige. Als sich ihr Puls langsam wieder normalisiert und das Adrenalin verflüchtigt hatte, setzte sie die Füße wieder auf den Boden, räusperte sich und sagte mit so normaler Stimme wie möglich:
»Sie können mich in Ringen rauslassen, wenn Sie so nett wären.«
Er antwortete nicht, sondern fuhr sie ohne weitere Kommentare dorthin, wo sie hinwollte.
»Ich weiß nicht, was in mich gefahren war«, beendete Elise ihre Geschichte und wischte sich mit der Rückseite ihrer Hand die Tränen von den Wangen.
»Du warst betrunken«, stellte Sjöberg nüchtern fest. »Du bist vierzehn Jahre alt, und Vierzehnjährige sollten keinen Alkohol trinken.«
»Was machen Sie jetzt mit mir?«
»Gar nichts«, antwortete Sjöberg. »Deine Zukunft liegt in deinen Händen. Aber wenn du jemanden zum Reden brauchst, kann ich dir gerne behilflich sein.«
*
Barbro hatte sich vorgenommen, früh Feierabend zu machen und sich von diesen strapaziösen Tagen zu erholen, aber die Gedanken an das kleine Mädchen ließen ihr keine Ruhe. Sie tigerte in ihrer Wohnung umher und hielt immer wieder am Wohnzimmerfenster inne und schaute auf die Straße hinunter. Hinter den Autos, die auf der anderen Seite am Bürgersteig abgestellt waren, glitzerte im Licht der Straßenlaternen die Berberitzenhecke, die das gegenüberliegende Haus mitsamt seinem vernachlässigten Rasen umschloss. Ein leiser Regen fiel, und sie war dankbar, dass er bis jetzt hatte auf sich warten lassen. Ein Optimist hatte ein paar Papptüten mit Altpapier zur Abholung vor die Tür gestellt, aber es schien unwahrscheinlich, dass sie bis zum nächsten Morgen halten würden.
Sie wollte diesen Holgersson anrufen, nahm allerdings an, dass er für heute Feierabend gemacht hatte, und sie vermutete, dass sie ihr seine Privat- oder Mobiltelefonnummer kaum geben würde. Man muss wohl davon ausgehen, dass die Polizei ihre Arbeit erledigt, dachte sie mit einem Seufzen. Bei Hanna ging niemand ans Telefon. Barbro hatte getan, was sie konnte, und allem Anschein nach war das Mädchen nun in guten Händen. Ob jetzt der Vater bei ihr war oder die Polizei, die ja bereits auf dem Weg zu ihr gewesen war, konnte ihr gleich sein. Man kümmerte sich um Hanna, und das war die Hauptsache. Barbro konnte die Angelegenheit als erledigt betrachten.
Aber irgendwie konnte sie nicht loslassen. Die Gedanken schwirrten weiter durch ihren Kopf, und sie konnte sich auf dieses letzte Telefongespräch immer noch keinen rechten Reim machen.
»Na, jetzt habe ich mir schon diese ganze Mühe gemacht …«, dachte sie laut. »Man sollte auch zu Ende bringen, was man angefangen hat.«
Mit entschlossenen Schritten ging sie in den Flur hinaus und stieg in ihre Gummistiefel. Sie zog den Regenmantel von seinem Bügel, und bevor sie ihn ganz angezogen hatte, stand sie schon im Treppenhaus und schloss hinter sich ab.
Nachdem sie eine Viertelstunde vor dem Eingang zur Ploggatan 20 gewartet hatte, wurde sie von einer gehetzt wirkenden Frau um die fünfzig hereingelassen. Die Frau hielt ihr die Tür auf, nahm sich zu Barbros großer Erleichterung aber nicht die Zeit herauszufinden, warum sie in das Haus wollte, ohne den Nummerncode zu kennen. Sie eilte direkt die Treppe hinauf und überließ Barbro sich selbst.
Barbro nahm den Aufzug in den dritten Stock, wo ihr Blick sofort auf das Namensschild der Familie Hedberg fiel. Sie blieb ein paar Minuten vor der Tür stehen und horchte aufmerksam, ob irgendwelche Geräusche aus der Wohnung drangen. Es war bestimmt jemand in der Wohnung. Das war nicht zu überhören. Sie konnte zumindest eine Kinderstimme identifizieren und eine Männerstimme. Es ging zwar ruhig zu, soweit sie es beurteilen konnte, aber mindestens zwei Personen waren dort aktiv. Barbro drückte mehrmals auf die Türklingel, aber niemand öffnete ihr. Sie bückte sich und rief durch den Briefschlitz:
»Hanna! Bist du da? Hier ist Barbro! Machst du mir bitte auf, liebe Hanna?«
Sie drückte erneut auf die Klingel, dieses Mal länger. Keine Reaktion. Nach ihren Versuchen, mit den Menschen in der Wohnung Kontakt aufzunehmen, konnte sie keine Laute mehr von dort drinnen vernehmen. Sie zog den Regenmantel aus und faltete ihn zu einem dicken Bündel zusammen,
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