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Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:

Titel: Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu: Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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überhaupt richtig begonnen hatte. Jetzt würde sie diese Dummheit ausradieren, sie ein für alle Mal aus ihrem Gedächtnis streichen.
    Mit frischem Mut betrat sie die Polizeiwache am Hammarbyhafen. Sie schaute sich in der riesigen Eingangshalle um, bevor sie an die Rezeption trat.
    »Hallo«, sagte die Rezeptionistin. »Womit kann ich dir helfen?«
    »Ich wollte eine Brieftasche abgeben, die ich gefunden habe«, antwortete Elise und versuchte selbstsicher zu klingen.
    »Aha, da musst du zum Fundbüro gehen. Du gehst diesen Korridor da runter und biegst nach rechts ab. Du musst nur den Schildern folgen.«
    »Vielen Dank«, sagte Elise und begann in die angewiesene Richtung zu gehen.
    Als sie gerade an der Treppe vorbeikam, warf sie einen Blick nach oben und entdeckte ein bekanntes Gesicht. Einer der Bullen von gestern, der dunkle Typ, kam direkt auf sie zu. Bevor sie den Kopf wegdrehen konnte, hatte er sie erkannt und lächelte ihr zu. Was sollte sie sagen? Er würde sich fragen, was sie hier wollte, und sie konnte es ihm kaum erzählen. Er würde doch denken, wenn man aus einer Familie wie ihrer kam, dann würde man Geld, das man findet, bestimmt behalten.
    »Hallo, Elise«, sagte Hamad und streckte ihr die Hand entgegen, als wären sie Geschäftspartner.
    Sie gab ihm die Hand und hoffte, dass ihre Unsicherheit nicht allzu offensichtlich war, als sie zurücklächelte.
    »Was hast du auf dem Herzen?«, wollte er wissen.
    Klar, er glaubte natürlich, dass sie zu ihm oder zu seinem Kollegen wollte. Sie bekam kein Wort heraus.
    »Wolltest du etwas erzählen? Ist dir etwas eingefallen, das wir auch wissen sollten?«
    »Ich … ich wollte nur wissen, wie es läuft«, bekam sie heraus.
    »Wir tun unser Bestes«, sagte Hamad. »Möchtest du mit in mein Büro kommen, dann können wir uns eine Weile unterhalten?«
    Er legte die Hand auf ihre Schulter, und es fühlte sich an, als würde er sie in eine Situation hineinbugsieren, auf die sie nicht im Geringsten vorbereitet war. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie konnte nur tun, was ihr gesagt wurde, also folgte sie ihm die Treppe hinauf, einen Flur entlang und in einen Büroraum hinein. Er bot ihr einen Stuhl an, und sie setzte sich. Er selbst nahm hinter dem Schreibtisch Platz und schaute sie mit seinen braunen Augen an, versuchte freundlich auszusehen.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte er. »Tee, Kaffee?«
    Sie schüttelte den Kopf, wollte nur weg. So schnell wie möglich.
    »Gehst du nicht in die Schule?«
    »Das packe ich im Augenblick nicht«, antwortete sie. »Das ist alles ein bisschen viel.«
    Wie wahr. Allerdings nicht in der Weise, wie er es annahm.
    »Das verstehe ich«, sagte er. »Es braucht seine Zeit, bis man wieder seinen Rhythmus findet. Aber es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn du doch zur Schule gehen würdest, dann kommst du auf andere Gedanken. Triffst Leute.«
    Dieser mitleidige Blick – wie sie das hasste. Sie kannte ihn von bestimmten Lehrern, der Schulkrankenschwester und dem Sozialarbeiter. Sie hatte nicht um Mitleid gebeten, aber manche Menschen konnten sie gar nicht anders betrachten. Dieser Blick hatte etwas Aufdringliches. Er wollte sie zerbrechen, wollte etwas Kleines und Schwaches aus ihr hervorlocken, das es gar nicht gab. Er wollte sie zum Weinen bringen – was sie niemals tat –, um sich dann in sie hineinzuwühlen, sich in ihrer schweren Kindheit zu suhlen. Sie schauderte und wendete sich ein wenig ab, damit man es ihr nicht ansehen konnte. Sie wollte nicht wie ein Opfer betrachtet werden, sie musste diesen Mann dazu bringen, sie als etwas anderes zu sehen: als eine Erwachsene, die seinen samtweichen Tonfall und seine mitleidigen Blicke nicht braucht.
    »Wie läuft es? Haben Sie den Mörder gefangen?«, fragte sie schroffer, als sie beabsichtigt hatte.
    Er streckte sich und drückte die Fingerspitzen aneinander.
    »Nein«, antwortete er. »Noch nicht. Aber wir werden ihn finden. Wir müssen jede Menge Menschen vernehmen, vielleicht Hunderte, sodass es eine Weile dauern kann, aber wir werden ihn kriegen.«
    »Ihn …?«
    »Ja, wir glauben, dass es sich um einen Mann handelt. Man muss stark sein, um einen Menschen mit bloßen Händen erwürgen zu können.«
    Er schwieg und beobachtete sie einige Sekunden lang, wollte wohl irgendeine Art von Reaktion sehen, aber da konnte er lange warten.
    »Und dir ist nichts mehr eingefallen? Nichts, was du uns erzählen wolltest? Hatte Jennifer irgendwelche Feinde? Hatte sie vielleicht

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