Nur Der Tod Bringt Vergebung
ihr Haar war in Unordnung, und ihre Kopfbedeckung war verrutscht. Verängstigt suchte sie nach Äbtissin Hilda, die unmittelbar vor dem Thron des Königs stand.
Besorgt sah Fidelma, wie die Schwester zu Hilda eilte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Leider konnte sie Hildas Gesicht nicht sehen, da die Äbtissin gleich darauf zum König ging, sich zu ihm beugte und die Nachricht der Schwester wiederholte.
Einen Augenblick lang herrschte gespannte Stille. Dann erhob sich der König und verließ, gefolgt von Hilda, Abbe, Colmán, Deusdedit, Wighard und Jakobus, das sacrarium.
Kaum waren sie gegangen, brach allgemeiner Aufruhr los. Die Versammelten bestürmten einander mit Fragen. Jeder wollte wissen, ob jemand die Bedeutung dieser seltsamen Vorgänge zu deuten vermochte, und bald schwirrten die wildesten Vermutungen durch den Saal.
Zwei Nonnen aus Coldingham, die hinter Fidelma saßen, vertraten die Ansicht, ein Heer von Bretonen müsse den Aufenthalt des Königs bei der Synode genutzt und das Königreich überfallen haben; sie könnten sich noch gut an die Invasion von Cadwallon ap Cadfan, dem König von Gwynedd, erinnern, bei der Northumbrien verwüstet worden sei und viele ihr Leben gelassen hätten.
Ein Bruder aus Gilling, der vor Fidelma saß, hielt dagegen einen Überfall durch die Armee von Mercia für viel wahrscheinlicher; schließlich habe Wulfhere, der Sohn Pendas, geschworen, die Unabhängigkeit Mercias wiederherzustellen, und seine Herrschaft südlich des Humber bereits festigen können. Mercia lauere ständig auf eine Gelegenheit, sich an Oswiu zu rächen, der Penda getötet und vor drei Jahren die Herrschaft über Mercia angetreten hatte. Zwar habe Wulfhere einen Abgesandten zur Synode geschickt, doch könne sich dahinter nichts weiter als ein geschicktes Ablenkungsmanöver verbergen.
Fidelma war erstaunt über all die politischen Spekulationen. Auf jemanden, der mit dem Machtkampf der sächsischen Königreiche untereinander nicht vertraut war, wirkten sie höchst verwirrend. Wie anders war es in dieser Hinsicht doch in ihrem Heimatland, wo eine klare Ordnung herrschte, der Hochkönig von allen anerkannt wurde und das Gesetz in allen Dingen das letzte Wort hatte. Auch wenn manche Unterkönige untereinander uneins waren, die Herrschaft Taras zweifelte niemand an. Die Sachsen hingegen lagen ständig miteinander im Streit, und als oberstes Gesetz schien bei ihnen das Schwert zu gelten.
Fidelma spürte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Eine junge Schwester beugte sich zu ihr herab.
«Schwester Fidelma? Die Mutter Oberin wünscht Euch unverzüglich zu sehen.»
Erstaunt erhob sich Fidelma von ihrem Platz. Bruder Tarans und Schwester Gwids neugierige Blicke folgten ihr, als sie in Begleitung der jungen Ordensschwester das von lauten, aufgeregten Stimmen widerhallende sacrarium verließ und durch die ruhigeren Flure zum Gemach der Äbtissin eilte. Mit gefalteten Händen stand Äbtissin Hilda vor dem großen Kamin. Ihr Gesicht war bleich und ernst. Bischof Colmán hatte, genau wie am Abend zuvor, auf einem Stuhl vor dem Kamin Platz genommen. Auch er wirkte wie von einer schweren Last niedergedrückt.
Beide waren so tief in Gedanken versunken, daß sie Fidelmas Ankunft kaum bemerkten.
«Ihr habt mich rufen lassen, Mutter Oberin?»
Äbtissin Hilda richtete sich seufzend auf und sah Colmán an, der sie mit einer Handbewegung zum Sprechen aufforderte.
«Bischof Colmán hat mich daran erinnert, daß Ihr in Eurem Land eine angesehene Gesetzeskundige seid, Fidelma.»
Schwester Fidelma runzelte die Stirn.
«Das ist richtig», bestätigte sie und fragte sich, worauf die Äbtissin hinauswollte.
«Er hat mich auch daran erinnert, daß Ihr die Gabe besitzt, Rätsel zu lösen und undurchsichtige Verbrechen aufzuklären.»
Eine ungute Vorahnung beschlich Fidelma.
«Meine liebe Schwester», fuhr die Äbtissin nach einer Pause fort, «auf diese Gabe sind wir nun angewiesen.»
«Ich bin gern bereit, Euch mit meinen bescheidenen Fähigkeiten zu Diensten zu sein», erwiderte Fidelma.
Äbtissin Hilda rang die Hände und suchte nach den passenden Worten.
«Ich habe schlechte Nachrichten, Schwester Fidelma. Äbtissin Étain von Kildare wurde in ihrer Zelle gefunden, und zwar mit durchgeschnittener Kehle. Was wir gesehen haben, läßt nur eine Deutung zu: Äbtissin Étain ist heimtückisch ermordet worden.»
VI
Während Schwester Fidelma von der schrecklichen Nachricht noch immer wie benommen
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