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Nur Der Tod Bringt Vergebung

Nur Der Tod Bringt Vergebung

Titel: Nur Der Tod Bringt Vergebung Kostenlos Bücher Online Lesen
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war, ging die Tür auf, und Fidelma nahm verschwommen wahr, daß Colmán sich eilig von seinem Stuhl erhob. Um zu sehen, was den Bischof zu dieser ungewöhnlichen Geste veranlaßt hatte, wandte sie sich zur Tür.
    Oswiu von Northumbrien betrat das Zimmer.
    Die Ereignisse hatten sich überstürzt, und für Fidelma war alles viel zu schnell gegangen. Sie hatte noch gar nicht richtig begriffen, daß ihre jahrelange Gefährtin, ihre Glaubensschwester und Äbtissin, einem grausamen Mord zum Opfer gefallen war. Im ersten Augenblick hatte sie sich wie gelähmt gefühlt. Jetzt spürte sie eine unendliche Trauer in sich aufsteigen, und doch versuchte sie mit aller Macht, ihre Gefühle zu unterdrücken. Es würde Étain nicht helfen, wenn sie jetzt in Trübsinn versank. Ihr Verstand war gefragt, ihre Kenntnisse und Begabungen waren gefordert, und Gefühle würden ihren Scharfsinn nur trüben. Zum Trauern hatte sie später noch reichlich Zeit.
    Entschlossen sah Fidelma dem Neuankömmling entgegen.
    Von nahem wirkte der König von Northumbrien längst nicht so imposant wie aus der Ferne. Zwar war er groß und muskulös, aber sein helles Haar hatte eine schmutzig gelb-graue Farbe, und die Zeichen des Alters waren nicht zu übersehen. Seine Haut war gelblich, und unzählige aufgeplatzte Äderchen bildeten ein Netz aus feinen hellroten Linien auf seinen Wangen. Seine Augen waren eingesunken, seine Stirn von Falten zerfurcht. Fidelma hatte gehört, daß bisher noch jeder König von Northumbrien einen gewaltsamen Tod auf dem Schlachtfeld gestorben war. Es war ein Vermächtnis, das schwer auf ihm lastete.
    Mit gehetztem Blick schaute Oswiu sich um und ließ die Augen schließlich auf Schwester Fidelma ruhen.
    «Ich habe gehört, daß Ihr eine dálaigh der Brehon-Gerichtsbarkeit Irlands seid?»
    Zu Fidelmas Erstaunen beherrschte er die irische Sprache fast wie ein Einheimischer. Dann fiel ihr ein, daß er in Iona aufgewachsen war und mit den dortigen Ordensbrüdern vermutlich nur Irisch gesprochen hatte.
    «Ja, ich habe den Rang einer anruth inne.»
    Colmán trat einen Schritt vor, um es dem König zu erklären. «Das bedeutet …»
    Mit einer ungeduldigen Geste wehrte Oswiu ab.
    «Ich weiß sehr genau, was das bedeutet, Bischof. Wer den Rang einer anruth erlangt hat, beherrscht das allerhöchste Wissen und kann auf gleicher Stufe mit Königen – ja, sogar mit dem Hochkönig selbst – Dispute führen.» Er lächelte selbstzufrieden über die Verlegenheit des Bischofs, ehe er sich wieder an Fidelma wandte. «Und doch bin ich, wie ich offen gestehen muß, erstaunt, einen so gelehrten Kopf auf diesen jungen Schultern vorzufinden.»
    Fidelma unterdrückte ein Seufzen.
    «Ich habe acht Jahre lang beim Brehon Morann von Tara studiert, einem der größten Richter unseres Landes.»
    Oswiu nickte geistesabwesend.
    «Ich wollte Eure Eignung nicht in Frage stellen, und Bischof Colmán hat mir von Eurem ausgezeichneten Ruf erzählt. Ihr wißt bereits, daß wir Euch brauchen?»
    Schwester Fidelma senkte den Kopf.
    «Man hat mir gesagt, daß Étain von Kildare ermordet wurde. Sie war nicht nur meine Äbtissin, sondern auch meine Freundin. Ich bin zur Hilfe bereit.»
    «Wie Ihr wißt, sollte Äbtissin Étain die Debatte für die Kirche Ionas eröffnen. Mein Land ist in dieser Frage gespalten, Schwester Fidelma. Deshalb ist diese Angelegenheit von allergrößter Wichtigkeit. Schon jetzt gehen die wildesten Gerüchte um, und die Mutmaßungen überschlagen sich. Wenn die Äbtissin von einem Mitglied der römischen Gesandtschaft ermordet wurde, wie es unter den gegebenen Umständen naheliegend erscheint, könnte es in meinem Volk zu einem so großen Bruch kommen, daß es der Wahrheit Christi in unserem Land den Todesstoß versetzt. Ein Bruderkrieg droht, mein Volk auseinanderzureißen. Versteht Ihr das?»
    «Ja», antwortete Fidelma. «Und doch gibt es etwas Wichtigeres, an das wir denken müssen.»
    Oswiu hob erstaunt die Augenbrauen.
    «Was könnte wichtiger sein als eine politische Zerreißprobe, die Iona, Armagh, ja möglicherweise sogar das ferne Rom erschüttern könnte?»
    «Es gibt etwas, das wichtiger ist», beharrte Fidelma mit ruhiger Stimme. «Wer auch immer Étain von Kildare ermordet hat, muß sich vor dem Gesetz verantworten. Das ist das oberste Ziel, die wichtigste Moral. Was andere daraus machen, ist ihre Sache. Die Suche nach der Wahrheit steht über allen Dingen.»
    Einen Augenblick sah Oswiu sie überrascht an, dann lächelte er

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