Nur Der Tod Bringt Vergebung
Menschen sind so fest von der einen oder anderen Seite überzeugt, daß sie mit Gewalt aufeinander losgehen werden?» fragte Eadulf.
Oswiu schüttelte den Kopf.
«Es sind die Menschen, die sich die Religion zunutze machen, nicht die religiösen Streitigkeiten selbst, die den Frieden unseres Landes gefährden. Alhfrith schreckt nicht davor zurück, die Menschen im Namen des Glaubens dazu aufzustacheln, ihn in seinem Streben nach der Macht zu unterstützen. Je länger Gerüchte darüber umgehen, wer Étain von Kildare getötet hat, desto mehr Zeit haben meine Widersacher, Haß zu säen und Vorurteile zu schüren.»
«Leider können wir Euch im Augenblick nur mitteilen, Oswiu, daß wir, sobald wir der Lösung näherkommen, Euch als ersten davon unterrichten werden», sagte Fidelma.
«Nun gut. Mit dieser Versicherung muß ich mich wohl zufriedengeben. Doch denkt an meine Worte. Die Augen der Christenheit sind auf uns gerichtet. Es hängt viel von unserer Versammlung ab – und von den Entscheidungen, zu denen wir hier gelangen.»
Auf dem Weg durch den Kreuzgang zurück zum domus hospitale meinte Eadulf plötzlich: «Ich glaube, daß Ihr mit Eurem Verdacht richtig liegt, Fidelma. Wir sollten unbedingt mit diesem Taran sprechen.»
Mit einem spöttischen Lächeln zog Fidelma die Augenbrauen hoch.
«Ihr wißt also, was ich vermute, Eadulf?»
«Ihr glaubt, daß Alhfrith eine Verschwörung angezettelt hat, um Oswiu zu stürzen, und daß er die im Zuge der Synode auftretenden Spannungen dazu nutzen will, einen Bruderkrieg zu entfesseln.»
«Ja, da habt Ihr recht», bestätigte Fidelma.
«Und Ihr denkt, daß Alhfrith – mit Hilfe Wulfrics und vielleicht auch Tarans – Étain von Kildare töten ließ, um die Kluft weiter zu vertiefen.»
«Das wäre eine Möglichkeit. Wir müssen nur noch herausfinden, ob sie der Wahrheit entspricht.»
Fidelma und Eadulf betraten gerade gemeinsam Schwester Athelswiths officium, als die Glocke zum mitternächtlichen Angelus zu läuten begann.
Fidelma seufzte, während Eadulf sofort zu seinem Rosenkranz griff.
«Es ist schon spät. Wir werden uns morgen mit Taran treffen», erklärte sie. «Aber vergeßt nicht, Erkundigungen über Athelnoth einzuziehen. Ich zähle ihn noch immer zum Kreis der Verdächtigen.»
Bruder Eadulf nickte und begann, das Ave-Maria zu beten:
Ora, pro nobis, sancta Dei Genetrix.
Bete für uns, o Heilige Mutter Gottes.
Die Glocke, die zum ersten Mahl des Tages, dem jentaculum, rief, war schon verklungen, als Schwester Fidelma als letzte auf ihren Platz an einem der langen Tische im Refektorium schlüpfte. Die für diesen Tag als Vorleserin auserwählte Schwester gehörte zu den Anhängern Roms. Sie hatte bereits ihren Platz am Pult eingenommen und strafte die Nachzüglerin mit einem tadelnden Blick.
« Benedicamus, Domino » , sagte sie kühl.
« Deo gratias » , erwiderte Fidelma gemeinsam mit den anderen.
Dann stimmten die Schwestern das der Lesung vorausgehende Beati immaculati an und begannen zu essen.
Fidelma kaute gedankenverloren ihren Getreidebrei, ohne darauf zu hören, was die Rezitatorin mit schriller Stimme zum Vortrag brachte. Gelegentlich ließ sie den Blick durch das Refektorium schweifen, konnte Bruder Eadulf jedoch nirgends entdecken. Statt dessen sah sie Bruder Taran an einem Tisch in ihrer Nähe sitzen. Die dunklen Gesichtszüge des piktischen Mönchs wirkten angespannt. Erstaunt stellte sie fest, daß er in ein Gespräch mit Seaxwulf vertieft war. Der junge Mönch hatte ihr den Rücken zugewandt, aber sein strohblondes Haar, seine schlanken Schultern und seine gekünstelten Gesten waren unverwechselbar. Neugierig betrachtete sie Taran. Er wirkte ungehalten und redete beharrlich auf sein Gegenüber ein. Plötzlich trafen sich ihre Blicke, und Taran funkelte sie mit dunklen Augen an. Einen Augenblick lang war seine Miene wie versteinert, dann glitt ein salbungsvolles Lächeln über sein Gesicht, und er nickte ihr freundlich zu. Fidelma zwang sich, seinen Gruß höflich zu erwidern, und widmete sich dann wieder ihrer Mahlzeit.
Als sie das Refektorium verließ, sah sie Eadulf, der mit einigen sächsischen Mönchen in einer Ecke des Innenhofs ins Gespräch vertieft war. Da sie ihn nicht stören wollte, beschloß sie, einen Spaziergang zur Küste zu machen. Sie hatte schon so lange keine frische Seeluft mehr geatmet, und ihr letzter Ausflug war durch Tarans und Wulfrics heimliches Treffen vereitelt worden. Fidelma hatte das
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