Nur Der Tod Kann Dich Retten
kannst mich auch mal, Mommy. Verdammt.
Wo bist du?
Megan fragte sich, was ihre Mutter in diesem Augenblick machte. Schlief sie? Wusste sie überhaupt, dass ihre Tochter verschwunden war? Wartete sie ängstlich zu Hause auf sie und überlegte sich schon die angemessenen Konsequenzen, weil sie die verabredete Zeit lange überschritten hatte? Hatte sie das überhaupt? Suchte ihre Mutter sie schon? Durchkämmte sie in diesem Augenblick vielleicht bereits die Straßen, weckte Nachbarn und scheuchte den Sheriff aus seinem Bett? Und würden sie sie finden, bevor es zu spät war?
Zu spät wofür?
Cal Hamilton saß im Gefängnis. Sie hatte nichts zu befürchten.
Es sei denn.
Konnte es sein, dass er entkommen war?
Der erschreckende Gedanke jagte Megan von ihrer Pritsche in die Mitte des Raumes. War es möglich, dass Cal Hamilton geflohen war oder dass irgendjemand Kaution für ihn gestellt hatte? Er genoss schließlich den Ruf, bei den Frauen einen Stein im Brett zu haben. Hatte eine dieser Frauen ihm seine alberne Geschichte, dass man ihm die Morde nur in die Schuhe schieben wollte, womöglich geglaubt und das Geld für seine Freilassung aufgebracht?
Oder vielleicht war es auch ein Trittbrettfahrer. Irgendein anderer Perverser, der gehört hatte, was Cal seiner Frau, Liana und diesem anderen armen Mädchen – Candy Soundso – angetan hatte, der beobachtet hatte, wie Megan von der Party geflohen war, und die Chance genutzt hatte. Irgendwie war es ihm gelungen, sie verschwinden zu lassen, ohne dass jemand ihn gesehen hatte.
Hatte jemand ihn gesehen?
»Keiner hat ihn gesehen«, sagte Megan laut, »weil er gar nicht existiert.« Sie hoffte, dass ihr strenger Tonfall alle derart albernen Spekulationen zerstreuen würde. Die Vorstellung eines weiteren Mörders, der sich innerhalb so kurzer Zeit ausgerechnet Torrance als Ziel seiner Taten ausgesucht hatte, war einfach zu albern und zu weit hergeholt.
Die Realität war viel gewöhnlicher. Die Realität war, dass Joey Balfour sich diese dumme Idee ausgedacht und es irgendwie geschafft hatte, Greg davon zu überzeugen mitzumachen, und nun saß wahrscheinlich das ganze Ensemble von Kiss Me, Kate hier irgendwo herum, hörte sich ihr wirres Gerede an und amüsierte sich köstlich auf ihre Kosten. Wahrscheinlich hockte sie sogar im Keller von Lonny Reynolds Haus, verdammt. Natürlich. Das war es. Obwohl sie sich
nicht erinnern konnte, dass das Haus einen Keller hatte. Die meisten Häuser in Florida hatten jedenfalls keinen.
War sie überhaupt noch in Florida?
»Okay, das ist albern. Du bist jetzt wirklich albern.« Natürlich war sie noch in Florida. Wo sollte sie sonst sein? Glaubte sie, dass man sie in einen anderen Staat gebracht hatte und in einer Zelle festhielt, um sie in die weiße Sklaverei zu verkaufen? Sie hatte im Fernsehen einmal einen Bericht über Mädchen gesehen, die entführt und in die Prostitution verkauft worden waren und dann jahrelang arbeiten mussten, bis sie freigelassen oder doch eher von ihrem Zuhälter umgebracht wurden. Aber bei diesen Frauen handelte es sich meistens um arme Mädchen aus notleidenden Ländern und nicht um verwöhnte amerikanische Teenager. Und beschränkte sich der Sexhandel in Amerika nicht weitgehend auf Kinder? Für die Kinderpornoindustrie war sie doch bestimmt schon zu alt. Obwohl es widerliche Webseiten gab, auf die sie gestoßen war, bevor ihre Eltern eine Sperre in ihrem Computer aktiviert hatten, Seiten mit Fotos von jungen Frauen wie sie selbst, die gefesselt und geknebelt, ausgepeitscht oder sogar mit Viehhaken malträtiert wurden. Man hatte den Eindruck, dass es für jede denkbare Perversion eine Website gab, inklusive Filme, in denen Menschen tatsächlich getötet wurden. Hatte sie soeben eine weitere Hauptrolle ergattert?
»Oh Gott. Oh Gott.«
Nein, sei nicht albern. Beruhige dich. Siehst du nicht, was du machst? Du machst dich selber verrückt. Es geht hier nicht um Pornographie oder Sklaverei. Es geht um einen Haufen blöder Kids, die sich noch bescheuerter benehmen als sonst. Es geht um Eifersucht, Neid, Kleinmut und Zorn, weil du nicht mitmachen wolltest. Es geht um einen Test, ein Initiationsritual, eine Schikane, die du über dich ergehen lassen musst, um dazuzugehören.
Nicht, dass sie noch irgendwas mit ihnen zu tun haben wollte. Sobald sie hier raus und wieder zu Hause war, würde
sie ihrer Mutter sagen, dass sie wieder nach Rochester ziehen wollte. Wenn es in der Tat ein Traum war – und sie hatte
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