Nur Der Tod Kann Dich Retten
antwortete Liana. »Ich habe nur ein Facelift machen lassen.
»Du siehst super aus«, erklärte Megan ihr, als Delilah Franklin und ihre Mutter Arm in Arm vorbeischlenderten.
»Was machst du denn hier?«, fragte Delilah vorwurfsvoll. »Du solltest doch zu Hause im Bett sein.«
Dann endete der Traum, so plötzlich wie ein Film, der im Projektor gerissen war.
Langsam schlug Megan die Augen auf, stützte sich auf einen Ellenbogen und beobachtete, wie die Details des Raumes nach und nach an ihre endgültige Position rückten. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie begriff, dass sie nicht zu Hause in ihrem Bett lag, sondern vielmehr auf einer schmalen Pritsche in einer nur schwach beleuchteten und unvertrauten Umgebung. Ohne irgendwelche anderen Möbel, Bilder an den kahlen Wänden oder einem Teppich auf dem nackten Estrich. Eine dünne blaue Decke lag über ihren Schultern, und auf einem hohen Sims weit jenseits ihrer Reichweite brannte ein einzelnes Licht, möglicherweise eine Laterne. Es roch feucht wie der unfertige Keller im Haus ihrer Großeltern in Rochester, bevor sie ihr Haus verkauft hatten und in den achtzehnten Stock eines neuen Apartmentblocks mit Blick auf den Ontariosee gezogen waren.
Wo war sie?
Megan blickte an sich herab. Sie trug einen schwarzen Pulli und Jeans, denselben Pulli, dieselbe Jeans und die braunen Wildlederstiefel, die sie zu der Theater-Party getragen hatte. Wann war das gewesen? Heute Abend? Gestern Abend? Vorgestern Abend? Wie lange war sie schon hier, wo immer sie auch sein mochte?
Wo war sie?
Sie spürte einen Anflug von Panik. Entspann dich, ermahnte eine Stimme sie. Du träumst offensichtlich immer noch. Alles, was du siehst – der Raum, die Pritsche, die Decke, die Laterne, sogar der modrige Geruch in deiner Nase -, hat nichts zu bedeuten. Beim Aufwachen wirst du dich wahrscheinlich nicht einmal mehr daran erinnern.
Bitte lass das lieber früher als später geschehen, betete Megan und verschloss die Augen vor ihrem ungastlichen Quartier, obwohl der modrige Geruch trotzdem nicht verflog. »Ich mag diesen Traum nicht«, sagte sie laut, um endlich aufzuwachen. Sie hoffte, ihre Stimme würde kräftig genug sein, um in ihr Bewusstsein vorzudringen. Als sich diese Maßnahme als unzureichend erwies, legte sie sich wieder hin, zog die Decke über die Schultern und die Knie an die Brust.
So lag sie eine Ewigkeit da, zumindest fühlte es sich so an, obwohl es wahrscheinlich nur ein paar Minuten waren. Ihre Uhr war weg, stellte Megan fest, als sie über die leere Stelle an ihrem linken Handgelenk tastete. Sie war ein Geschenk ihrer Eltern zu ihrem sechzehnten Geburtstag gewesen, eine schmale goldene Uhr mit einem feinen herzförmigen Zifferblatt. »Genau wie dein Gesicht«, hatte ihre Mutter gesagt.
»Es ist okay«, versuchte Megan sich mit der Stimme ihrer Mutter zu beruhigen. »Es ist okay, Schätzchen. Alles wird gut. Morgen früh fühlst du dich bestimmt besser, versprochen.« Wirklich? Oder war es vielleicht schon Morgen?
Wo war sie? Wie spät war es?
Megan konnte sich nicht erinnern, ihre Uhr abgelegt zu haben,
andererseits war dies nur ein Traum, weshalb man sich auf sein Gedächtnis nicht verlassen konnte. In Träumen gab es keine Erinnerungen. Und auch keine Konjunktionen. Das hatte sie mal irgendwo gelesen. Träume trugen einen ohne jedes Und, Ob oder Aber von einem merkwürdigen Ort zum nächsten, spielten die Ereignisse des Tages auf diverse scheinbar unlogische Arten noch einmal durch, verbanden Stimmen und Gesichter, die normalerweise nicht zusammengehörten, und vermischten das Banale mit dem Bizarren, das Alltägliche mit dem nie Geschehenen, das Lebende mit dem Toten, ohne jede Entschuldigung oder Erklärung. Manchmal waren Träume tröstend und angenehm. In Megans Fall waren sie häufiger das Gegenteil. Sie hatte schon immer viele Albträume gehabt, aber seit dem Auszug ihres Vaters waren es noch mehr geworden. Und dies war bloß ein weiterer dieser schlechten Träume, sagte sie sich.
Obwohl er sich anders anfühlte als jeder Traum, den sie je zuvor gehabt hatte.
Megan machte die Augen wieder auf und setzte sich hin, sodass die dünne Decke von ihren Schultern auf ihre Arme glitt.
Der Raum war noch genauso wie vor einigen Minuten. Dieselben kahlen Wände, derselbe nackte Estrich, derselbe modrige Geruch. Jetzt bemerkte Megan auch zum ersten Mal einen braunen Plastikeimer am Fuß der Pritsche mit einer Riesenrolle Klopapier daneben. Eklig, dachte sie, lachte
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