Nur Der Tod Kann Dich Retten
noch keine Lösegeldforderung erhalten«, sagte John. »Ich denke, Entführer hätten sich inzwischen gemeldet.«
»Und wenn es ihnen nicht um Geld geht«, fuhr sie mehr an sich selbst als an den Sheriff gewandt fort. »Was, wenn ein Verrückter unsere Tochter gekidnappt hat. Was, wenn er -«
»Judy, Herrgott noch mal«, unterbrach ihr Mann sie.
»Wir sollten versuchen, positiv zu denken«, riet John ihnen, obwohl positive Gedanken Liana Martin nicht helfen würden, wenn sie wirklich von einem Irren verschleppt worden war. Er nahm sich vor, bei seinen Erkundigungen heute Abend auch zu fragen, ob irgendjemand in den letzten Wochen Fremde in der Gegend bemerkt hatte. Und seine Beamten sollten das Gleiche tun. »In der Zwischenzeit«, sagte er und kam um seinen Schreibtisch, »geht ihr am besten nach Hause und versucht, Ruhe zu bewahren. Ich rufe euch an, nachdem ich mich ein bisschen umgehört habe. Hier ist meine Handynummer. Meldet euch sofort, wenn euch noch irgendwas einfällt. Egal zu welcher Uhrzeit.«
»Was, wenn sie verletzt ist? Was, wenn sie irgendwo am Straßenrand liegt?«
»Morgen stellen wir eine Suchmannschaft zusammen«, erklärte John Judy Martin. Wenn ihre Tochter tatsächlich irgendwo am Straßenrand herumlag, dachte er, würde sie dort womöglich nicht lange liegen bleiben. Die Gegend hieß schließlich nicht ohne Grund Alligator Alley.
Er komplimentierte Howard und Judy Martin aus seinem Büro und versprach ihnen, sie anzurufen, sobald er seine Runde gemacht hatte. »Wir werden sie finden«, versprach er, während ihn ein weiteres beunruhigendes Bild bedrängte. Er erinnerte sich an eine Frau, die vor ungefähr einem Monat in seinem Büro gesessen, die Hände gerungen und mit Tränen in den Augen im Wesentlichen die gleiche Geschichte erzählt hatte. Er hatte ihre Besorgnis abgetan – die Frau wohnte im
Nachbarbezirk Hendry County und war deshalb offiziell nicht sein Problem, außerdem hatte sie zugegeben, dass ihre Tochter schon häufiger von zu Hause weggelaufen und zudem auf den Strich gegangen war, um ihre Drogensucht zu finanzieren. Er hatte dem Verschwinden des Mädchens keine weitere Beachtung geschenkt, aber als er beobachtete, wie Liana Martins verzweifelte Eltern in ihren Wagen stiegen und davonfuhren, fragte er sich unwillkürlich, ob die beiden verschwundenen Mädchen etwas miteinander zu tun hatten. »Du guckst zu viel Fernsehen«, brummte er, aber vor seinem inneren Auge sah er den schlanken Körper seiner Tochter Amber in einem Straßengraben liegen, den Hals gebrochen von den Händen eines brutalen Irren.
Er schüttelte das Bild ab und verließ entschlossen sein Büro.
4
T orrance war weniger eine Stadt als vielmehr eine Reihe von einsamen Straßen, die sich im Laufe der Jahre vervielfacht und verbunden hatten, eine lockere Ansammlung von Farmen, Obstplantagen und Sumpfland, deren viertausend überwiegend weiße Bewohner die ganze Bandbreite von obszön reich bis bettelarm abdeckten. Der Ort lag etwa eine Autostunde westlich von Fort Lauderdale, direkt hinter dem Autobahnkreuz des Highway 27 mit dem Abschnitt der Interstate 75, der als Alligator Alley bekannt war. Die winzige Innenstadt bestand aus mehreren Banken, einem Postamt, einer Apotheke, ein paar Restaurants, einem Laden für Jagdund Anglerbedarf, einem Pfandleiher, einem Geschäft für Damenbekleidung, einer Versicherungsagentur und einer Anwaltskanzlei, deren Firmenmotto in matten silbernen Lettern auf die Schaufensterscheibe gemalt war. Es versprach, dass das juristische Team für alle Fälle – Vater, Sohn und ihre heftig ausgenutzte Anwaltsgehilfin – KUNDENFREUNDLICH, KLAGEWILLIG, KOMPROMISSBEREIT war. Der Rest der Stadt erstreckte sich in Kreisen um diese Hauptstraße wie eine Reihe sich ausbreitender Wellen. Ganz in der Nähe lag die Merchant Mall mit dem Supermarkt, dem Kino, einem Tätowierungsstudio und Boutiquen voller Jeansklamotten. Ein Stück weiter gab es ein McDonald’s, ein Arby’s, ein KFC. Und das Chester’s.
Das Chester’s war einer dieser Läden, wie es sie in jeder amerikanischen Kleinstadt gibt. Es lag eine halbe Meile von
der Hauptgeschäftsstraße entfernt und wirkte von außen ziemlich unscheinbar, die schlichte Holzfassade war in einem matten Grau mit weißen Rändern gehalten. Drinnen war es geräumig, dunkel und laut, was durch die hohe Holzdecke mit den freistehenden Balken, die nachgedunkelten glatten Böden und den Dauerlärm von den Billardtischen im Hinterzimmer noch
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