Nur Der Tod Kann Dich Retten
triumphierend den Schlüssel vor meiner Nase. »Deine Mutter war der Meinung, ich sollte einen Hausschlüssel haben. Für Notfälle.«
»Gibt es einen?«
»Was?«
»Einen Notfall?«
»Sei nicht so oberschlau«, sagte sie, eine Redewendung von ihr, die ich immer ziemlich albern fand. Warum ermahnte
man jemanden, nicht schlau zu sein? Es sei denn natürlich, dessen Intelligenz würde einen selbst dumm aussehen lassen.
»Was machst du hier?«, fragte ich.
»Deine Mutter hat sich meine guten schwarzen Pumps ausgeliehen, und ich brauche sie heute Abend.«
»Hast du ein Rendezvous?«
»Wenn du es genau wissen willst, ja.«
Ich lachte. »Der arme Kerl.«
»Du musst gerade reden«, sagte sie, obwohl ich mir nicht sicher war, was genau sie damit meinte – und das bin ich mir ehrlich gesagt bis heute nicht -, aber ich wusste, dass es beleidigend gemeint war. »Was liest du denn da?« Sie riss mir das Buch aus der Hand und blätterte hastig ein paar Seiten durch. »Bist du inzwischen nicht ein bisschen zu alt für Comics?«
»Es ist ein Comic-Roman.«
»Das ist auch nur ein hochtrabender Name. Also ehrlich! In deinem Alter. Weißt du mit deiner Zeit nichts Besseres anzufangen?«
»Musst du dich nicht für dein Rendezvous fertig machen?«
Sie sah auf ihre Uhr, eine dieser nachgemachten Rolex-Uhren, die niemanden täuschen. Ich meine, man muss sie nur anfassen, um zu merken, dass sie nicht echt sind. Ich finde, sie sehen sogar falsch aus. So ähnlich wie falsche Brüste. Die hatte sie auch. »Ich habe jede Menge Zeit.«
»Gut. Denn ich glaube, meine Mutter hatte die Schuhe, die du meinst, vielleicht an, als sie gegangen ist.«
»Was?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie die Schuhe anhatte.« Das war ich keineswegs, weil ich nur selten auf die Kleidung meiner Mutter achtete. Ich hatte es nur gesagt, um meine Tante aufzuregen, und stellte dankbar fest, dass mir das gelungen war.
»Wohin ist sie gegangen? Wann kommt sie zurück?«
»Ich habe keine Ahnung. Das hat sie nicht gesagt.«
»Das sind teure Schuhe«, schimpfte sie. »Ich hoffe, sie ist damit nicht in den Supermarkt gegangen.«
Ich wandte mich achselzuckend wieder meinem Buch zu. Im nächsten Moment stürmte meine Tante die Treppe hinauf ins Zimmer meiner Mutter. Ich hörte, wie über meinem Kopf Schranktüren aufgerissen und Gegenstände achtlos zu Boden geworfen wurden.
»Ich hab sie gefunden«, verkündete meine Tante wütend, als sie kurz darauf wieder neben mir stand und die Schuhe gefährlich nahe vor meinem Kopf schwenkte.
»Dann freu dich doch«, sagte ich.
»Warum hast du gesagt, dass deine Mutter die Schuhe anhat?«
»Ich habe gesagt, dass sie sie vielleicht anhat.«
»Jetzt bin ich ganz ins Schwitzen gekommen.« Sie sagte es, als ob das meine Schuld wäre.
»Soll ich dir was zu trinken holen? Eine Cola oder einen Saft?«
Sie ließ sich auf das Sofa fallen. »Eine Cola light.«
Das war’s. Kein Bitte oder Danke. Kein: »Das wäre nett von dir.« Ich stand auf und ging in die Küche. »Du weißt ja, dass Cola light ungesund ist«, rief ich. »Angeblich verändert es die Hirnströme.«
»Dann musst du dir ja keine Sorgen machen«, sagte sie und lachte ihr schreckliches Hyänen-Lachen.
Genau in diesem Moment – 14.22 Uhr laut der Digitalanzeige am Herd – beschloss ich, sie umzubringen. Ich hatte ehrlich gesagt schon seit Monaten darüber nachgedacht, vielleicht sogar schon seit Jahren, hatte geplant, was ich tun würde, wenn sich die Gelegenheit je ergeben würde, und überlegt, wie ich sie so unaufwändig und schmerzhaft wie möglich ins Jenseits befördern konnte. Schmerzhaft für sie. Ich wollte, dass sie im Tod litt, so wie sie mich im Leben hatte leiden lassen.
»Wir haben keine Cola light«, log ich und schob mehrere
Dosen nach hinten in den Kühlschrank. »Wie wär’s mit einem Gin-Tonic?«
Habe ich schon erwähnt, dass sie eine Trinkerin war?
»Das ist eine wirklich gute Idee«, meinte sie, wahrscheinlich das Netteste, was sie seit Jahren zu mir gesagt hatte.
»Auf mich kannst du dich doch verlassen«, sagte ich, nahm die Tonic-Flasche aus dem Kühlschrank, fand den Gin in dem Schrank unter der Spüle und mischte beides fachkundig.
In unserem Haus gab es immer eine Menge Tabletten. Ich durchwühlte mehrere Küchenschubladen und fand ein altes Fläschchen mit sechs Schmerztabletten, die ich zerstampfte und zu dem Gin-Tonic gab. Von wegen Hirnströme verändern. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und gab ihr das
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