Nur Der Tod Kann Dich Retten
über seine Mutter unterhalten, dann war er plötzlich aufgestanden und weggegangen, und das war’s. Den restlichen Abend hatte er sie bewusst gemieden. Oder zumindest die nächste Stunde, denn mehr Nichtbeachtung hatte sie nicht ertragen. Ohne jemandem Bescheid zu sagen, hatte sie sich verdrückt und auf den Heimweg gemacht, obwohl sie versprochen hatte, nicht von Tims Seite zu weichen. Zu Fuß abends allein durch die Dunkelheit war sie gegangen, während ein Mörder frei herumlief, wie ihre Mutter weiß Gott wie oft wiederholt hatte, nachdem sie in einem Taxi praktisch gleichzeitig mit Tim zu Hause eingetroffen war. Und jetzt hatte Megan Hausarrest. Einen Monat lang durfte sie nur zur Schule
und den Proben gehen, auf deren Besuch ihre Mutter bestanden hatte, vorgeblich, weil sie es ungerecht fand, den armen Mr. Lipsman seiner Hauptdarstellerin zu berauben, aber eigentlich wohl eher, weil Megan sich allzu bereit gezeigt hatte, darauf zu verzichten. Gleichzeitig waren auch ihr Handy und ihr Computer konfisziert worden, was jedoch im Grunde vermutlich ein Segen war, wenn Megan an den Klatsch dachte, der in diesem Moment wahrscheinlich in Chatrooms im ganzen Land zirkulierte. Es war dieser Gedanke, bei dem Megan speiübel wurde. Und die Vorstellung, was ihre Mutter sagen würde, wenn sie das mit Greg Watts erfuhr.
Nicht dass die den Mund allzu weit aufmachen konnte, fand Megan. Sie hatte auch nicht gerade toll ausgesehen, als sie kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen war. Megan hatte beobachtet, wie sie schwerfällig aus dem Taxi gestiegen und zur Haustür gewankt war, als ob sie Scherben auf dem Weg ausweichen wollte. Megan blieb kaum Zeit, sich zu fragen, was mit Rita war, denn zu ihrem Entsetzen war in diesem Moment Tim um die Ecke gekommen. »Mom«, hatte er gerufen. »Ist Megan zu Hause?«
»Was? Was soll das heißen. Ist sie nicht bei dir?« Dann wurde die Haustür geöffnet und wieder geschlossen, und es wurde hysterisch und laut. »Was soll das heißen, du weißt nicht, wo sie ist? Was soll das heißen, du konntest sie nicht finden? Hast du auch geguckt? Hast du überall geguckt?«
Und dann ihre eigene Blödheit. Sie hatte geglaubt, wenn sie sich einfach zeigen würde, wäre ihre Mutter so froh und erleichtert, sie heil und sicher zu Hause und nicht in den Klauen eines sabbernden Irren zu sehen, dass alles vergeben sein würde.
Aber es war keineswegs alles vergeben.
Nach der anfänglichen Euphorie, Küssen auf die Wange, besitzergreifenden Umarmungen mit zittrigen Fingern, hatte sich die Miene ihrer Mutter verfinstert. »Wie meinst du das, du bist gegangen, ohne deinem Bruder Bescheid zu sagen? Ihr
solltet doch zusammenbleiben. Warum wart ihr nicht zusammen? Wo warst du? Mit wem warst du zusammen? Was soll das heißen, du bist ganz allein nach Hause gegangen? Weißt du nicht, dass da draußen ein Mörder herumläuft? Ich kann nicht glauben, dass du so dumm warst. Was verschweigst du mir?« Und dann fügte sie, ohne eine Erklärung abzuwarten, hinzu: »Du hast Hausarrest.«
Natürlich hatte Megan versucht, ihre Mutter umzustimmen, aber jede Unschuldsbeteuerung hatte ihre Schuld nur betoniert. Obwohl Sandy augenscheinlich nicht ganz sie selbst war – auch eine Überdosis Pfefferminzbonbons hatte ihre Alkoholfahne nicht überdecken können -, entging es ihr nicht, dass ihre Tochter ihr etwas verheimlichte, und sie ließ sich nicht beschwichtigen, besänftigen oder von ihrem Kurs abbringen. Schließlich war Megan unter Tränen in ihr Zimmer geflüchtet.
Als ihre Mutter eine Viertelstunde später an ihre Tür klopfte, hatte Megan angenommen, dass sie es sich anders überlegt hatte und gekommen war, um sich zu entschuldigen. Stattdessen hatte ihre Mutter Computer und Festnetztelefon ausgestöpselt und das Handy aus ihrer Tasche genommen. Und statt sich zu entschuldigen, hatte sie erklärt: »Ich bin sehr enttäuscht von dir, Megan.« Das bedeutete, sie erwartete, dass Megan sich bei ihr entschuldigte.
Sie sollte sich entschuldigen und erklären.
Aber wie konnte sie das erklären, fragte Megan sich, während sie sich in Gregs überraschend sanfte Arme träumte. Seine Finger spielten mit ihrem Haar, seine Zungenspitze erkundete ihren Mund. Sie konnte noch das Bier und die Zigaretten in seinem Atem schmecken, die Verletzung in seiner Stimme hören, als er von seiner Mutter gesprochen hatte. Sie hatte sich ihm so nahe gefühlt. War es das? War sie ihm zu nahe gekommen? »Ich bin so ein Idiot«, stöhnte sie
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