Nur Der Tod Kann Dich Retten
Bild nicht in Frage stellen oder verändern. Sie wollen nicht mehr über einen wissen.
Und in Wahrheit wissen sie gar nichts.
Meine Tante zum Beispiel.
Sie glaubte mich zu kennen.
Sie irrte.
Habe ich schon erwähnt, dass ich sie getötet habe?
Schande über mich, obwohl ich ehrlich gesagt keine Scham empfinde. Nicht mehr. Das habe ich jahrelang getan. Viel zu viele Jahre, wie ich heute weiß. Nicht Scham darüber, dass ich sie getötet habe. Keineswegs. Sie hatte ihr Schicksal verdient. Nein, die Scham, die ich meine, war die Scham, die ich mit mir herumgetragen habe, als meine Tante noch lebte. Mein Gott, was hat sie mich terrorisiert! Wie hat sie es geliebt, mir ein schlechtes Gewissen zu machen und mir das Gefühl zu geben, ich sei wertlos! Sie war einer der Menschen, die den Tod wirklich verdient hatten. Und sie war mein Debüt, mein erstes Mal. Mein Jungfrauenmord sozusagen.
Einige Erlebnisse mit meiner Tante habe ich bereits gestreift: die Geburtstagsfeier bei den Nachbarn, bei der sie mich beinahe hätte ertrinken lassen, und die Heimtücke, mit der sie mir hinterher die Schuld in die Schuhe geschoben hat; die Ferien, die sie mir vergällt hat, der Schwimmunterricht,
auf dem sie bestand, das Wasserski-Desaster, ihr Spott und ihr hyänenartiges Lachen. Du bist ein großes Baby. Wo steckst du, Angsthase? Komm schon, Hasenfuß .
Man hätte meinen sollen, dass es besser geworden wäre, als ich älter wurde, aber damit würde man den Eifer meiner Tante unterschätzen, sich in das Leben anderer einzumischen, genau wie ihr Talent, die Köpfe ihrer Mitmenschen zu infiltrieren und zu infizieren. Sogar den meiner Mutter.
Nichts, was ich machte, war je gut genug. Meine Misserfolge wurden aufgebauscht, meine Erfolge gar nicht beachtet. Jede Enttäuschung, die ich erleiden musste, war gut für einen Lacher. Aber wer lacht jetzt?
In Gedanken habe ich mir die Bilder dieses Nachmittags schon so häufig vorgespielt, dass ich manchmal Angst habe, ich könnte ihrer überdrüssig werden, die Erinnerung könnte verblassen oder Stellen überspringen wie eine defekte CD, und ich würde unwillentlich etwas Wichtiges auslassen, vielleicht nur ein Detail, aber eins, das genossen werden sollte. Ich will nichts auslassen. Ich will nicht die winzigste Kleinigkeit jenes Tages vergessen. Deshalb habe ich mich auch entschlossen, etwas Bleibendes zu hinterlassen. Ich meißele diese Erinnerungen gewissermaßen in Stein.
In Grabsteine.
Auch wenn meine Tante mein erster Mord war, bleibt er doch der am meisten befriedigende. Was sagt man noch über Sex und Liebe? Dass Sex immer erfüllender ist, wenn Liebe im Spiel ist? Gilt das auch für Mord? Und ist Hass so mächtig wie Liebe? Ich glaube schon. Ich glaube sogar, dass Hass ein noch mächtigeres Gefühl ist.
Ganz gewiss war es unendlich viel lohnender, Liana Martin umzubringen, als Candy Cabbot zu töten.
Ebenso wie mein nächster Mord noch befriedigender sein wird als die Beseitigung von Liana Martin.
Und es gibt einen Mord, auf den ich mich ganz besonders freue.
Ihre Zeit naht. Ihr Ende rückt mit jedem Tag näher.
Aber ich eile mir selbst voraus, und wenn ich diese Erinnerungen, so gut es geht, auskosten will, muss ich präzise im Detail und darauf bedacht sein, voll und ganz in dem Augenblick aufzugehen. Ich darf mich von gar nichts ablenken lassen. Ich muss zu jenem feuchtheißen Julitag vor fast drei Jahren zurückkehren. Vor fast drei Jahren? Man mag es kaum glauben. Wie heißt es doch gleich? Die Zeit verfliegt, wenn man Spaß hat?
Also gut. Wohlan. Ich war allein zu Hause, las und genoss die klimatisierte Luft und die Ruhe. Und da pochte sie mit einem Mal an die Haustür und verlangte Einlass. Ich beachtete sie gar nicht und konzentrierte mich auf mein Buch, und nach einer Minute wurde es tatsächlich still. Ich dachte schon, sie wäre wieder gegangen. Ich weiß noch, dass ich mir ein verschlagenes Lächeln gönnte, das jedoch schlagartig erstarb, als ich einen Schlüssel im Schloss und nahende Schritte hörte.
»Oh. Du bist zu Hause«, sagte sie, sichtlich überrascht. Ihre kurzen dunklen Haare kräuselten sich in der schwülen Luft, und in den Achselhöhlen ihres blauen Sommerkleids hatten sich halbmondförmige Schweißflecken gebildet.
»Ja«, bestätigte ich mit einem Nicken.
»Warum hast du nicht aufgemacht, als ich geklopft habe?«
»Ich hab dich nicht gehört.«
»Wie kannst du mich nicht gehört haben?«
»Wie bist du reingekommen?«
Sie schwenkte
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