Nur der Tod sühnt deine Schuld
Haley besser als die meisten Männer. Auf diese Weise machte man sich das Leben nicht unnötig kompliziert. Sie wurde nie mit irgendwelchen Ansprüchen konfrontiert, die sie nicht erfüllen konnte. Und sie enttäuschte nie jemanden.
Haley konnte nicht fassen, dass sie einfach eingeschlafen war, anstatt aufzustehen, Grey dafür zu danken, dass er für sie da gewesen war, als sie ihn gebraucht hatte, und ihn dann fortzuschicken.
Als sie endlich angezogen war und in die Küche zurückkam, hatte Grey den Tisch gedeckt. Kaffee und ein Berg Pfannkuchen warteten auf sie. »Das war doch nicht nötig«, sagte sie und setzte sich an den Tisch. »Du hättest auch einfach gehen können.«
Er reichte ihr die Sirupflasche. »Läuft das normalerweise so ab?«
Sie zuckte mit den Schultern. »So ist es einfacher.« Sie hatte das Gefühl, sie sollte etwas über ihre gemeinsame Nacht sagen. »Grey, wegen heute Nacht …«
Mit erhobener Hand bedeutete er ihr, nicht weiterzureden. »Es gibt keinen Grund, es erklären zu wollen oder zu viel hineinzuinterpretieren. Du brauchtest Gesellschaft, und ich war da. Jetzt iss deine Pfannkuchen, bevor sie kalt werden.«
Haley nickte erleichtert. Wenigstens lag ihm nichts daran, alles noch einmal durchzukauen oder die Sache komplizierter zu machen, als sie war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es kurz nach acht war. Hell und warm schien die Sonne durch die Küchenfenster. Vogelgezwitscher drang aus dem Garten herein.
Es war kaum zu glauben, dass vor nur sechs Stunden in diesem Raum etwas Schreckliches passiert war. Außer ein paar Brandspuren am Herd und einem schwarzen Fleck an der Decke erinnerte nichts mehr an das Verbrechen. Der Anblick ließ Haley dennoch erneut erschaudern.
»Was hast du heute vor?«, fragte Grey.
»Als Erstes lasse ich die Türschlösser auswechseln. Und dann gehe ich zu Detective Tolliver. Er muss unbedingt erfahren, dass jemand versucht hat, uns umzubringen. Die Beamten gestern Nacht haben mir ja anscheinend nicht geglaubt.«
»Meinst du nicht, dass Frank Marcelli ihm von dem Vorfall berichtet?«
»Doch, natürlich, aber ich will mich persönlich davon überzeugen, dass Tolliver weiß, dass es kein Unfall war.«
»Tolliver kann auch nicht mehr tun als Frank letzte Nacht«, gab Grey zu bedenken.
»Ich weiß«, erwiderte Haley deprimiert. Sie aß ein paar Bissen von ihren Pfannkuchen, schob dann den Teller beiseite und lehnte sich mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln auf ihrem Stuhl zurück. »Für mich ergibt das alles keinen Sinn. Es scheint so zu sein, dass Monica und Sondra von derselben Person ermordet wurden. Aber was hat das mit mir zu tun? Ich kenne nicht dieselben Leute wie sie, und ich hatte auch keinerlei Beziehung zu Sondra Jackson.«
»Leider muss das Ganze nur für den Mörder einen Sinn ergeben, nicht für uns.«
Haley sah Grey nachdenklich an. »Bei deiner Arbeit für die Polizei lernst du sicher einiges darüber, wie Kriminelle denken. Was hältst du denn von der Sache?«
Grey ließ weiteren Sirup über die Pfannkuchen auf seinem Teller laufen. »Ich habe nicht genug Informationen, um mir ein Urteil erlauben zu können. Ich weiß nur, dass alles auf einen Mord im Affekt hindeutet. Trotzdem geht der Täter planvoll genug vor, um keine Spuren zu hinterlassen. Was hier heute Nacht passiert ist, zeugt von unglaublicher Heimtücke.«
»Ich glaube einfach nicht, dass Molly das Ziel war. Dafür ist zu viel Zeit seit Monicas Tod vergangen. Wenn der Mörder sich Sorgen wegen Molly machen würde, hätte er doch früher etwas unternommen.«
»Davon würde ich auch ausgehen.« Grey trank einen Schluck Kaffee, nahm ein paar Bissen und fuhr dann fort. »Außerdem bin ich mir nicht so sicher, dass Molly etwas weiß, was den Mörder ihrer Mutter identifizieren könnte.« Sein Blick wanderte zum Fenster. »Mittlerweile müsste ihr doch klar sein, wie wichtig es ist, dass sie sagt, was sie weiß. Vielleicht hat sie wirklich nichts gesehen oder gehört.« Grey richtete den Blick wieder auf Haley.
»Ich kriege jedenfalls nichts aus ihr heraus, außer ab und zu einen Wutanfall«, erwiderte sie.
»Unter den Umständen ist das ganz normal.«
Haley starrte in ihren Kaffeebecher. »Bisher war es mir nie wichtig, ob jemand mich liebt oder nicht. Von meiner Mutter und meiner Schwester wusste ich trotz unserer Differenzen immer, dass sie mich liebten. Und von meinem Vater sowieso. Bei allen anderen Menschen war es mir ziemlich egal.«
Von Gefühlen
Weitere Kostenlose Bücher