Nur der Tod sühnt deine Schuld
und drohte Haley mit dem Finger. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie müssen sich nicht bedanken. Ich bin sicher, Sie würden dasselbe für mich tun.«
Wieder zu Hause, ließ Molly sich aufs Sofa plumpsen, dann schaltete sie den Fernseher ein. Haley stellte sich ans Fenster und starrte nach draußen in den Garten, zum Baumhaus.
Ein Miniaturhaus aus Sperrholz und Latten – nichts, was sie quälen, was ihr Angst einjagen sollte … und es trotzdem tat.
Haley drehte sich um und sah Molly an. »Hat deine Mommy mit dir im Baumhaus gespielt?« Molly nickte. Natürlich, dachte Haley. Die mit der Welt im Einklang lebende Monica hatte den Geist ihres Vaters dort nicht gespürt, hatte nicht den übermächtigen Schmerz gefühlt, der Haley jedes Mal erfasste, wenn sie in die Baumkrone blickte.
Molly wandte sich wieder dem Zeichentrickfilm zu, und Haley seufzte. Sie fragte sich, wie lange die Kleine wohl noch schweigen würde.
Der Nachmittag und der Abend vergingen wie alle anderen Nachmittage und Abende vorher: Nur der Fernseher sorgte für eine Geräuschkulisse im Haus. Zum Abendessen gab es Hacksteaks und grüne Bohnen aus der Dose. Dann war es Zeit für Molly, schlafen zu gehen.
Während sie überlegte, was sie zum Abendessen machen sollte, hatte Haley in der Speisekammer eine Flasche Wein entdeckt. Als Molly eingeschlafen war, goss sie sich ein großes Glas ein und stellte es zusammen mit der Flasche auf den Couchtisch im Wohnzimmer.
Sie kuschelte sich aufs Sofa und trank einen großen Schluck von dem rubinroten Wein, in der Hoffnung, dass er sie ein wenig entspannen würde.
»Auf die neuen Türschlösser«, sagte sie laut und hob das Glas erneut an die Lippen.
Eigentlich sollte sie sich bei dem Gedanken, dass der Eindringling es heute nicht mehr so leicht haben würde wie letzte Nacht, sicher fühlen. Aber trotz der glänzenden neuen Schlösser und obwohl sie sich vergewissert hatte, dass alle Fenster verriegelt waren, ließ die Angst sie nicht los.
Haley hatte gedacht, dass nichts schlimmer als der Mord an Monica sein konnte, doch jetzt hatte sie das dunkle Gefühl, dass das Schlimmste noch kam.
Nach zwei großen Gläsern Wein war die Flasche halb leer und die quälende Angst durch die betäubende Wirkung des Alkohols ein wenig abgemildert.
In Wahrheit war Haley mehr als nur leicht betrunken. Wein hatte sie nie gut vertragen, und sie wusste, dass sie morgen wahrscheinlich einen schrecklichen Kater haben würde, aber im Moment war ihr das egal.
Was ihr zu schaffen machte, war die Stille im Haus und dass es sich so anfühlte, als wäre ihr Leben in den Schleudergang einer Waschmaschine geraten. Sie bekam einfach keinen festen Boden unter die Füße.
Wenn Molly nicht gewesen wäre, hätte Haley längst ihre Siebensachen gepackt und die Flucht ergriffen, um Pleasant Hill und Grey Banes hinter sich zu lassen.
Haley runzelte die Stirn, schenkte sich Wein nach und fragte sich, warum sie eigentlich vor Grey Banes weglaufen wollte. Weil er ihr bereits jetzt nähergekommen war als je ein Mann zuvor? Weil er etwas in ihr sah, was zu sehen sich bisher niemand die Mühe gemacht hatte?
Ihr fiel wieder ein, was er am Morgen zu ihr gesagt hatte, kurz bevor er gegangen war. Eine kostenlose Dosis Psychoanalyse. Dabei hatte sie ihm doch wohl deutlich genug zu verstehen gegeben, dass ihn ihr Seelenleben nichts anging.
Je länger sie darüber nachdachte, desto wütender wurde Haley. Sie nahm das schnurlose Telefon vom Tischchen neben dem Sofa und wählte Greys Nummer, wobei sie sich flüchtig fragte, wann sie sie auswendig gelernt hatte.
Beim zweiten Klingeln meldete er sich mit seiner tiefen, sexy Stimme, die Haleys Herz jedes Mal schneller schlagen ließ. »Grey, ich bin’s«, sagte sie.
»Haley, ich habe gerade an dich gedacht. Ist alles in Ordnung?«
»Ja und nein. Bisher hat zwar noch keiner versucht, uns umzubringen, aber ich sitze hier, trinke ein bisschen Wein und denke nach. Und ich habe beschlossen, dass ich sauer bin wegen deiner kostenlosen Analyse heute Morgen.«
»Und wie wenig ist ein bisschen Wein?«, fragte Grey belustigt.
Haley warf einen Blick auf die Flasche und stellte überrascht fest, dass sich nur noch ein kleiner Rest darin befand. »Vielleicht ein bisschen mehr als ein bisschen«, gab sie zu.
»Ist der Schlüsseldienst gekommen?«
»Die Schlösser sind ausgetauscht, Molly schläft, und ich bin beschwipst. Alles bestens also, abgesehen davon, dass ich sauer auf dich bin.«
»Du hörst dich
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