Nur der Tod sühnt deine Schuld
von Samstag auf Sonntag hatte ich wieder so einen Anruf.«
»Dieselbe Stimme?«
Haley nickte. »Diesmal war die Person ein bisschen gesprächiger. Sie nannte mich ›Hure‹ und sagte, ich solle die Stadt verlassen, bevor es zu spät sei.«
»Zu spät wofür?«
»Wenn ich das wüsste.« Obwohl sie sich auf dem Polizeirevier befand, dem wahrscheinlich sichersten Ort der ganzen Stadt, überkam Haley bei der Erinnerung an die Stimme und das, was sie gesagt hatte, erneut Angst. »Ich weiß nur, dass die Stimme böse klang.«
»Wurde auf dem Display eine Nummer angezeigt?«, fragte Tolliver.
Haley runzelte die Stirn. »Meine Schwester war wahrscheinlich der letzte Mensch, der so was nicht hatte. Keine Anrufererkennung, keine Weiterleitungsoption, keine Stummschaltung des Klingeltons. Aber wenn ich wieder zu Hause bin, kümmere ich mich darum, dass ich in Zukunft sehe, wer mich anruft.«
»Hören Sie, ich weiß, wie irritierend anonyme Anrufe sein können, aber wir können leider nichts dagegen unternehmen. Eine Anrufererkennung ist in so einem Fall genau das Richtige. Und wenn Sie dann immer noch nicht herausfinden, wer der Anrufer ist, sollten Sie sich an die Telefongesellschaft wenden und denen die Situation erklären.«
»Ich hatte auch gar nicht erwartet, dass Sie etwas tun können«, erwiderte Haley. »Ich wollte nur, dass Sie auf dem Laufenden sind. Nach allem, was passiert ist, finde ich die Anrufe nämlich mehr als irritierend.«
»Das kann ich gut verstehen. Vielleicht ist es ein Verrückter, der weiß, was Ihrer Schwester zugestoßen ist und dem es einen Riesenspaß macht, Sie zu quälen. So etwas passiert öfter, als man denkt. Eine Witwe wird von ihrem kürzlich verstorbenen Ehemann angerufen oder Eltern hören ihr totes Baby am Telefon weinen, während sich irgendein kranker Mistkerl in seinem Schlafzimmer kaputtlacht.«
Tollivers Stimme war voller Abscheu, aber Haley fand diese Möglichkeit seltsam beruhigend. Vielleicht hatte wirklich jemand in der Zeitung von Monicas Tod gelesen und machte sich jetzt einen Spaß daraus, die Hinterbliebenen zu quälen.
»Sie wissen nicht zufällig, ob Monica und Sondra vor ihrem Tod anonyme Anrufe erhalten haben?«
»Es gibt keinerlei Hinweise auf Drohanrufe, weder bei der einen noch bei der anderen.«
Die Tür des Vernehmungszimmers ging auf, und Frank Marcelli kam herein. »Haley, ist etwas passiert?«
Mit knappen Worten informierte Tolliver seinen Partner über den Anlass von Haleys Besuch.
»Haben Sie eigentlich Jay Middleton überprüft?«, fragte Haley, einer spontanen Eingebung folgend.
»Ich habe ihn nach Sondras Tod befragt«, sagte Frank. »Warum?«
»Ich weiß nicht, irgendwas an ihm verursacht mir eine Gänsehaut. Hat er ein Alibi für die Morde?«
»Ich erinnere mich nicht mehr genau, was er mir im Hinblick auf den Mord an Ihrer Schwester erzählt hat. Aber wenn ich mich recht entsinne, ist er nach dem Elternabend ins Trader’s gegangen, die Sportbar an der Main Street. Da ist er geblieben, bis sie zugemacht haben. Danach ist er angeblich direkt nach Hause gegangen.«
»Konnte das jemand bezeugen?«, fragte Haley.
Frank musterte sie misstrauisch. »Sind Sie sicher, dass Sie uns nicht doch etwas verschweigen?«
»Nein. Ich habe nur gehört, dass Middleton ein Frauenheld ist. Deshalb habe ich mich gefragt, ob er mit meiner Schwester und Sondra gleichzeitig etwas gehabt haben könnte. Vielleicht haben sie es herausgefunden und gedroht, es seiner Frau zu sagen.« Haley redete zu viel. In dem Bemühen, dem Sinnlosen einen Sinn zu geben, klammerte sie sich an jeden Strohhalm.
Tolliver massierte seinen Magen, und Frank Marcelli sah Haley nachdenklich an. »Ich muss zugeben, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, sein Alibi zu überprüfen. Ich werde das gleich heute erledigen«, versprach Frank.
Haley seufzte müde. »Würden Sie mir einen Gefallen tun? Könnten Sie bitte versuchen herauszufinden, ob Monica und Sondra vor ihrem Tod Drohanrufe erhalten haben?«
»Wir haben uns die Anruferlisten beider Anschlüsse schon angesehen«, sagte Tolliver. »Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges dabei.«
»Vielleicht haben die anonymen Anrufe bei Ihnen ja gar nichts mit den Morden zu tun.« Frank sah Haley mitfühlend an.
»Das würde dann bedeuten, dass da draußen einfach jemand ist, der mich für eine Hure hält. Wunderbar, jetzt fühle ich mich schon viel besser«, sagte sie trocken.
»Es könnten auch einfach Scherzanrufe sein«, gab
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