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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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wie ein soeben ins Land gekommener Refugee rollte, bei dem alle Hoffnung auf Sprachassimilation vergebens sein würde. Die sarkastische Reaktion auf eine bewusste Kränkung, die ihn sehr viel mehr aufwühlte, als es gedankenlose Dummheit getan hätte, war jene Selbstironie, die Walter bei seinen Kameraden beliebt gemacht hatte. »Jerry«, hatte der Sergeantmajor beim Abschied gesagt, »du bist viel zu schade für ein Land, in dem die Leute immer nur lachen können, wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht oder wenn einer dem anderen eine Sahnetorte ins Gesicht schmeißt.«
    »Da sehen Sie, Sir, wie sich manche Dinge durch einen
    Krieg zum Guten wenden. In Deutschland gibt es keine Sahnetorte mehr und Bananen erst recht nicht.«
    Alle, die gekommen waren, um einen Soldaten in britischer Uniform mit seiner unschuldigen Familie ins Land der Feinde abziehen zu sehen, hatten präzise Vorstellungen, wie sich die letzten Minuten in dem ungewöhnlichen, seit Wochen im »Hove Court« leidenschaftlich diskutierten Drama abspielen würden. Ein Spektakel mit unvergesslichem Höhepunkt war nicht auszuschließen. Zumindest erwartete das gespannte Publikum, Dr. Walter Redlich, der von der Idee besessen war, wieder Rechtsanwalt und Notar in Deutschland und ein respektierter Mann zu werden, würde mit irgendeiner bemerkenswerten Geste das Land verlassen - »das Land, dem er immerhin sein Leben verdankt«, wie kaum einer anzumerken versäumte. Bestimmt würde der Wahnwitzige eines jener deutschen Lieder auf den Lippen haben, die er, ohne sich zu genieren, so oft seinem bedauernswerten Sohn vorgesungen hatte. Bei offenem Fenster und in Uniform!
    Walter aber dachte weder an die Lorelei auf ihrem Felsen noch an den Studenten im dritten Semester, der mit seinem Freund Martin Batschinsky in Heidelberg auf einer Brücke gestanden und von großer Zukunft geträumt hatte. Der Rückkehrende ins Land seiner Väter sah keine grauen Burgen und keine Frühlingswiesen. Er stand nicht am Neckar, und er hob sein Weinglas nicht am Rhein; die deutschen Wälder hörte er nicht rauschen, den Kuckuck nicht rufen. Es würde, das wusste er, sein geliebtes Schlesierland am Oderstrand nie mehr wieder sehen. In den letzten Minuten, die Sergeant Redlich in Nairobi verblieben, sah er einzig die blauen Hügel des
    Ngong. Sie badeten im Licht der aufgehenden Sonne, am Horizont galoppierte eine Herde Zebras.
    Mit Dankbarkeit dachte Walter an seine kecken Kameraden Andy, Harry und George. Sie hatten einen verdorrenden Baum, dem Vandalen die Wurzeln abgeschlagen hatten, wieder aufgerichtet. George, der fröhlichste der drei, hatte sogar die Patience mit den hundertundvier Karten gelernt und sich in einer langen Nacht schildern lassen, wie »Redlichs Hotel« in Sohrau aussah. Er war in Burma gefallen. Zwei Tage vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag. Walter hatte Andy geholfen, einen Brief an Georges Eltern zu schreiben. Sie lebten auf der Insel Skye, und der Mann aus Deutschland hatte ihnen erklären müssen, wo Burma lag und weshalb ein schottischer Soldat dorthin geschickt wurde.
    Weil es ihm nicht gelang, rechtzeitig den Angriff der Wehmut auf seine Vernunft und Haltung zu zügeln, stieg Sergeant Redlich sehr schwerfällig in den Zug nach Mombasa ein. Erst im allerletzten Moment dämmerte ihm, dass die Bewohner des »Hove Court« wenigstens ein kleines Finale von ihm erwarteten. Er nahm seine Mütze ab und hielt seinen Sohn kurz in die Höhe, damit sie ihn noch einmal sehen konnten. Sie winkten versöhnlich und riefen so herzlich »Kwaheri«, als würde ein jeder von ihnen das Ziel der Reise gutheißen.
    Andy, Harry und George waren eigensinnig wie immer. Sie weigerten sich hartnäckig, von der Bühne abzutreten. Zunächst summte Walter »My Heart’s in the Highlands« nur leise, doch zum Schluss sang er mit einer Stimme, die so weit zu reisen vermochte wie auf den Schambas von Ol’ Joro Orok, »The hills of the Highlands for ever I love«. Er dachte dabei so intensiv an die Farm im Hochland mit den blau blühenden Flachsfeldern, an Kimani und an Owuor, dass ihm schwindelte.
    Kimani hatte sich umgebracht und Owuor, der Kamerad der allerersten afrikanischen Stunde, war unterwegs nach Kisumu am Victoria-See, in eine Heimat, die ihm bestimmt fremd geworden war. Ebenso wie Jettel und Regina nahm Walter von Nairobi durch einen Tränenschleier Abschied. Der durchsichtige graue Vorhang schob sich vor die schwatzenden Menschen, die seinetwegen gekommen waren,

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