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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sie, »du musst mir eins versprechen. Was immer auch kommt, vergiss nie, dass Walter dich liebt. Ihr müsst zusammenbleiben. Er ist so ein anständiger Kerl.«
    »Wie in aller Welt kommst du drauf? Warum sagst du das gerade jetzt?«
    »Wer weiß, ob wir in Hamburg noch eine Gelegenheit finden, so ungestört miteinander zu sprechen. Wände haben ja bekanntlich Ohren. Besonders wenn man Logierbesuch ist. Manchmal habe ich große Angst um euch. Ihr seid beide so schreckliche Dickköpfe. Doch in einem fremden Land geht das nicht mehr. Da müssen Mann und Frau zusammenhalten. Ihr habt nur noch euch. Das darfst du nie vergessen. Ich wollte dir das seit Tagen sagen, aber es ist nie dazu gekommen. Jetzt hab ich es als Wink des Schicksals empfunden, dass Regina so fest schläft.«
    »Ich schlaf aber nicht«, jubelte Regina. Sie klatschte in die Hände. Fips klatschte mit. »Ich hab nicht geschlafen. Nie. Ich hab genau gehört, was meine Oma gesagt hast. Und ich versprech’ dir ganz ganz fest, Oma, dass ich nie vergessen werde, was du gesagt hast.«
    So ist es auch gekommen.
    Jambo, Kenia
    Mombasa-Nairobi, 30. Juli 1938
    »Kwenda«, knurrte Abraham Silverstone. Er machte eine abwehrende Bewegung und bedrohte eine bettelnde Frau von etwa vierzig Jahren mit der Faust. Sie hatte ihren in weißen Kattun gehüllten Körper so dicht an den abfahrbereiten Zug herangeschoben wie sonst nur Reisende. Auf ihrem kahl geschorenen Schädel hockten fette Fliegen. Die oberen Schneidezähne fehlten. Trotzdem lachte sie in regelmäßigen Abständen, wenn auch nicht vergnügt. Kennern wäre klar gewesen, dass die ausgemergelte Bettlerin weder die angewiderte Geste des jungen Mannes deuten konnte noch Suaheli verstand. Bis sie ihr Mann aus der Hütte und dann die Not nach Mombasa getrieben hatten, wo es allgemein hieß, die Menschen wären freigebiger als in Nairobi, hatte der Bettlerin die eigene gereicht.

    Sie erlebte erst den dritten Vollmond an der Küste. Zwar war die Zeit lang genug, um sich die Gepflogenheiten der Besitzlosen anzueignen, doch waren drei Monate zu kurz, um sich mit Mimik und Gesten der Europäer vertraut zu machen. Als die Bettlerin die geballte Faust des Bwana erblickte, stieß sie also nur das lang gezogene »Eh« hervor, das den Menschen vom Stamm der Kikuyu in jeder Situation als die geeignete Form der Kommunikation er-
    scheint, und streckte dem nun heftig fluchenden Mann weiter ihre geöffnete Hand entgegen. Der Umhang um ihre Schultern geriet ins Rutschen. Nur die rechte Brust war noch bedeckt, auf der nackten linken glänzte eine rote Narbe.
    »Kwenda!«, schimpfte Silverstone abermals.
    »Sie hat keine Haare«, flüsterte Regina und beugte sich tief über den Rahmen des geöffneten Zugfensters. »Und ihre Brust wackelt. Wie Pudding. Ich hab noch nie schwarzen Pudding gegessen.«
    »Sei still. So etwas sagt man nicht.«
    »Warum?«, beharrte Regina. »Wenn sie mich nicht versteht, kann ich doch sagen, was ich will. Warum hat sie denn keine Haare, Mama? Und keinen Büstenhalter?« »Vorsicht«, warnte Silverstone. »Beuge dich bloß nicht so tief hinunter. Das fehlt mir noch, dass du kleines Biest aus dem Zug fliegst und die verdammten Scherereien mit euch beiden wieder von vorn anfangen.«
    Regina und Jettel standen auf der gleichen sprachlichen Stufe wie die Bettlerin. Sie verstanden kein Wort, doch sie lächelten, denn der Instinkt, der entwurzelte Menschen durch die Wirrnisse des Lebens zu geleiten verspricht, empfiehlt Freundlichkeit. Regina lächelte in der schüchternen Art von Kindern, denen bereits das Ungewohnte Bedrohung ist. Ihre Mutter lächelte mit einem Anflug von Trotz. In ihren Mädchentagen hatte solch charmanter Mutwillen viel versprechende junge Männer zu verwegenen Gedanken und unvergessenen Beteuerungen gebracht. Noch mochte Jettel nicht hinnehmen, dass es im fremden Land so viel schwerer war, erotische Botschaften zu versenden. Sie zerknüllte ihr Taschentuch und nahm sich vor, nicht zu schniefen. Silverstone ver-hielt sich neutral. Er nahm ebenso wenig Kenntnis vom Lächeln eines Kindes aus Deutschland wie vom Lachen einer Bettlerin aus dem Stamm der Kikuyu. Und da er Erfahrungen mit Neueinwanderern hatte, machte es ihm auch keine Mühe, die feuchten Augen und zitternden Lippen der Mutter des verschüchterten Kindes zu übersehen.
    Den jungen Mann beschäftigten ausschließlich seine eigene Erscheinung und eine äußerst unangenehme Erschöpfung. Er neigte wahrlich nicht dazu, sich gehen zu

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