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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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lassen. Nun aber war sein Khakihemd durchgeschwitzt, die helle Leinenhose zerknittert. Schweiß tropfte von der Stirn auf die Augenbrauen. Zudem hatte der ordnungsliebende Abraham Silverstone das unangenehme Gefühl, er hätte feuchte Hände und keinen angenehmen Körpergeruch, genau wie seine korpulente Schwiegermutter, die in die Jahre gekommen war und sich einen Palmwedel zugelegt hatte - samt einem melancholischen Jungen, der seiner kurzatmigen Herrin auf der Veranda Luft zufächelte. Silverstone schüttelte das anwidernde Bild aus seinem Kopf. Er legte Wert auf Ästhetik und die Disziplin, die ein Mann aufbringen muss, um das Leben ästhetisch zu gestalten. Schon morgens um sechs ließ er sich von seinem Diener eine Schüssel erwärmtes Wasser bringen, damit er die erste Tasse Tee des Tages - Morning’s Delight - nicht im unrasierten Zustand trinken musste. Seine Hemden ließ er täglich waschen, seine weiße Boxerhündin Tumbo jeden Donnerstag. Verärgert schaute der adrette Pedant auf seine Uhr. Als er Stunde und Minute zur Kenntnis nahm, verwünschte er alle Menschen, die es in die Fremde zog. Der Zug hätte vor einer Viertelstunde abfahren müssen, doch die Lok dampfte noch nicht ein-mal. Der Bahnhofsvorsteher saß in seinem Häuschen und trank Tee. Ein lahmender Hund jagte auf den Gleisen ein Perlhuhn.
    »Sind wir bald in Nairobi?«, fragte Regina.
    »Psst«, sagte ihre Mutter.
    »Es ist der Zug nach Nairobi«, bestätigte Silverstone. »Hier fährt gar kein anderer.«
    Wieder lächelte Jettel. Sie grübelte, ob sie so befangen aussah, wie sie sich fühlte. Auch Silverstone war es nicht wohl. Es geschah nicht oft, dass er sich seine Ungeduld anmerken ließ. Geduld mit Menschen zu haben, die kurz seine Lebensbahn kreuzten, entsprach zwar nicht seinem Charakter, aber doch seinem Verlangen, jederzeit das Richtige zu tun. Und dank den Erziehungsprinzipien der renommierten Privatschule in Limuru, die den Knaben Abraham acht Jahre lang zum Gentleman dressiert hatte, war ihm Höflichkeit eine so selbstverständliche Pflicht wie sein Morgengebet und das abendliche Zähneputzen. Der zu Ende gehende Tag hatte es dem wohlerzogenen Mister Silverstone jedoch ungewöhnlich schwer gemacht, allzeit geduldig und höflich zu bleiben. Selbst für einen abgehärteten Kenianer aus Mombasa, der sogar in der bleischweren Mittagshitze weder eine Arbeitspause einlegte noch eine Kopfbedeckung trug, war das Klima kaum zu ertragen - Glut wie ein brennendes Buschfeuer, Feuchtigkeit wie im tropischen Dschungel. Hätte Silverstone so wie sonst in seiner Exportfirma bei zugezogenen Gardinen und regelmäßigen Teepausen arbeiten dürfen, hätte er die Hitze auf die gewohnte Art ignorieren können. Jedoch den ganzen Tag unterwegs und mit fremden Menschen zusammen zu sein war auch für ihn, den seine Freunde »das Rennpferd« nannten, ein Opfer.
    Wer ein solches Opfer verlangte? Die Jüdische Gemeinde Mombasa. Seit fünf Jahren und in letzter Zeit immer intensiver organisierte sie einen sehr ungewöhnlichen Samariterdienst. Aufgerufen in Sachen zeitgemäßer Nächstenliebe und Wohltätigkeit waren besonders die jungen männlichen Gemeindemitglieder. Schließlich hatten sie außer dem notwendigen Idealismus auch die Kraft zur guten Tat, zudem das notwendige Fingerspitzengefühl, den kühlen Kopf, der gebraucht wurde, und die Fähigkeit, spontan für Menschen Entscheidungen zu treffen, die in den seltensten Fällen begriffen, weshalb sie sich entscheiden sollten und wofür.
    Es ging darum, die Neueinwanderer - Familienverbände, Einzelpersonen, junge Emigranten und immer häufiger auch Alte - bei ihrer Ankunft in Kenia so gut wie möglich zu betreuen. Wenn ein Schiff aus Europa einlief, waren es Silverstone und seine rührigen Mitstreiter, die dafür sorgten, dass die Glaubensgenossen aus der Alten Welt, die nichts von Kenia und nichts von Afrika wussten, während ihres kurzen Aufenthalts in Mombasa keine Minute sich selbst überlassen blieben. Nach übereinstimmender Meinung der Helfer, die in ihrem privaten Umfeld nicht zur Zimperlichkeit neigten, sahen die meisten Neuankömmlinge wie geprügelte Hunde aus. Oder wie entlaufene Kinder, die nicht mehr wussten, wo sie wohnten und wie ihre Eltern hießen. Die ratlosen Menschen von den Schiffen waren alle auf Hilfe angewiesen. Nur die allerwenigsten konnten sich in der Sprache ihres Gastlandes verständigen; viele hatten, was Silverstone erst im Laufe des Krieges begriff, für immer Schaden an

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