Nur die Liebe bleibt
werde ich mich dafür schämen.«
»Das haben Sie, Herr Doktor, aber Sie müssen sich nicht schämen. Gerade die Guten sind oft blind. Oder taub. Meistens beides.«
Josef Greschek war ein knorriger Baum. Sein Gesicht mit der markanten Nase und den hochstehenden Wangen, mit der bereits in jungen Jahren zerfurchten Stirn und dem breiten Kinn sah aus, als hätte es ein Menschenkenner aus Eiche geschnitzt. Obgleich Greschek ein wohlhabender Mann war, saßen seine Anzüge schlecht, die Hemden waren zu groß, die Schuhe bäuerlich derb. Fast immer trug er eine graue Stoffmütze mit einem großen Schild, das den Blick auf seine stahlgrauen Augen verwehrte. Greschek, von dem es in Leobschütz und allen umliegenden Dörfern hieß, er könnte einem Pferdehänd-ler einen lahmen Gaul andrehen und er würde die eigene Großmutter für eine Flasche Wacholderschnaps verhökern, betrieb mit allergrößtem Erfolg auf der Leobschüt-zer Hauptstraße ein Geschäft für Elektrobedarf. Er war Walters erster und treuester Mandant gewesen. War es nur Zufall oder eine besondere Pointe, dass Greschek am Tag in der Kanzlei war, als das Schreiben, von einem gewissen Roland Freisler unterzeichnet, mit der Mitteilung eintraf, dass Dr. Walter Redlich fortan nicht mehr als Rechtsanwalt und Notar tätig sein dürfte. Gre-schek allein sah Walters Tränen, als der Traum von der Heimat Deutschland zerbarst, doch er sprach kein Wort des Mitgefühls. Er schloss das Fenster mit einem solchen Knall, dass der Holzgriff abfiel. »Sie müssen sich hier fortmachen, Herr Doktor«, erklärte er, »das sind Verbrecher.«
Greschek war ein Prozesshansel und bemühte so häufig die Gerichte wie ein Hypochonder die Ärzte. Seinem Gegner hätte dieser griesgrämige Querkopf für kein Geld der Welt auch nur den kleinen Finger gereicht. Der streitsüchtige Kauz hätte einen jungen Anwalt allein ernähren können, und später hat Walter immer erzählt, Greschek hätte genau dies getan. Noch nicht einmal von seiner Grete, die Hausmagd und Bettgenossin in einem war und die seine Launen ertrug wie ein Hund die Prügel seines Herrn, wurde Greschek beim Vornamen genannt. Die meisten Leute fürchteten sich vor ihm, und das war ihm gerade recht. Von der Kirche wollte Greschek nichts wissen, den Sozis gab er die Schuld am Scheitern der Weimarer Republik, die Kommunisten verachtete er ohne Grund. Hitler und seine braune Horden hasste er.
Schon 1933 tauchte ein ehemaliger Briefträger, der drei Jahre zuvor wegen Unterschlagung fristlos aus dem Dienst entlassen worden war, in Grescheks Laden auf. Der Mann war nun Parteimitglied der ersten Stunde und in besonderer Mission unterwegs. Greschek empfahl er im zeitgemäßen Befehlston, sich einen Anwalt zu suchen, »der unser Volk nicht ausbluten lässt«. Kolportiert wurde, Greschek hätte den Mann mit einem Fußtritt aus seinem Laden bugsiert. Samt den Flüchen, für die er in der ganzen Stadt berüchtigt war. Die Geschichte wurde zwar nie vom Parteigenossen Müller bestätigt, doch hatte sie keineswegs die erwarteten Folgen. Solange Rechtsanwalt Dr. Redlich in der Klosterstraße niedergelassen war, kam Greschek fast täglich in die Kanzlei. Bei Tag! Die paar übrigen Mandanten, die sich noch zu einem jüdischen Anwalt trauten, bauten zunächst auf den Schutz der Dunkelheit. Als sie dann doch den Anwalt wechselten, wechselten sie auch jedes Mal die Straßenseite, wenn sie Walter sahen.
Es gab indes zwischen dem jungen jüdischen Anwalt und dem oberschlesischen Dickschädel, der sich dem Naziregime verweigerte, nicht allein eine berufliche Bindung. Sie unternahmen, sooft es die Verhältnisse zuließen, zusammen kurze Reisen in Grescheks »Wanderer«, einmal in die Hohe Tatra, an Ostern 1936 nach Prag, sonntagnachmittags mit Jettel nach Jägerndorf oder Troppau in der Tschechei. Kurze Atempausen im drohenden Untergang waren das, Stunden nur, im besten Fall ein paar Tage des Vergessens. Lange glaubten beide Männer, es wäre lediglich Hochachtung, die sie füreinander empfanden. Erst als sie durch Kontinente getrennt waren, erkannten sie, aus welchem Stoff ihre Bindung geschaffen war.
Als die Redlichs das Haus im Leobschützer Asternweg aufgeben mussten und nach Breslau zogen, schickte Gre-schek seine tüchtige Grete, um »der Frau Doktor beim Packen zu helfen«. Er hatte beim letzten Händedruck in Leobschütz eine belegte Stimme und einen Zorn, der sich für immer in sein Herz brannte. Es war der 30. Juni 1937. Weder der, der
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