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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Tag, da sich die beiden auf Befehl von Mister
    Whidett nicht voneinander trennen durften, ehe der Zug nach Thompson’s Falls in Nakuru abfuhr, lebten die Schülerin Regina Redlich aus Ol’ Joro Orok und der Lehrer Steven Sloane in zwei exakt voneinander getrennten Welten. Die waren so unterschiedlich wie die Westminster Abbey zu London und das Klo mit den drei geschnitzten Herzen in der Tür, das der ehemalige Rechtsanwalt Dr. Walter Redlich auf der Farm in Ol’ Joro Orok von einem indischen Schreiner hatte bauen lassen. Sloane unterrichtete Geographie und Geschichte in der 4 c, eine reine Jungenklasse. Trotz seiner blassen Haut, der roten Haare und dürren Arme galt er als der erfolgreichste Coach für Cricket seit Gründung der Schule. Allein durch seine Bewährung auf dem Cricketfeld war die Vorstellung, Mister Sloane, der eine Allergie gegen Ausländer jeglicher Provenienz hatte, würde sich je mit einem solchen Mädchen abgeben müssen, undenkbar gewesen. Die Aufgabe, die ihm am Tag vor den Ferien von seinem Direktor aufoktroyiert worden war, fand der Lehrer absolut absurd, eine ungeheuerliche, beleidigende Zumutung. Keinesfalls hatte der gekränkte Cricketcoach die Absicht, herauszufinden, weshalb Regina nicht auf die übliche Art in die Ferien gestartet war und was Mister Whidett wohl dazu veranlasst hatte, einer Schülerin, die offensichtlich noch keine zehn Jahre alt war, dies zu erlauben. »Sehen Sie zu, dass die Kleine gut wegkommt«, hatte Whidett befohlen. Er hatte tatsächlich »die Kleine« gesagt, wie ein besorgter Großvater in einem viktorianischen Familienroman.
    »Ich höre den Zug kommen, Sir«, meldete Regina. »Dann siehst du mehr als ich.«
    »Ich habe den Zug gehört, Sir, nicht gesehen. Owuor sagt, einen Zug sieht man nicht, ehe man den Rauch riechen kann.«
    Erschrocken merkte Regina, dass sie in ihrer Aufregung Mister Sloane angesprochen und so getan hatte, als wäre er ein ganz gewöhnlicher Mann. Bei Lehrern, bei denen man keinen Unterricht hatte, war dies weder gern gesehen noch üblich.
    »Sorry, Sir«, entschuldigte sich Regina.
    Um zu signalisieren, dass er akustisch verstanden hatte, begnügte sich Mister Sloane mit einer leichten Kopfbewegung in Richtung Kinn. Seine Hände hatte er in den Hosentaschen zu Fäusten geballt. Noch hatte der Ungeduldige die Hoffnung, Regina würde rechtzeitig seinem Blickfeld entschwinden - wenn das Schicksal es besser mit ihm meinte als sein Chef, in den nächsten fünfzehn Minuten. Dann war der Tag für einen, den es in die Ferien drängte, noch zu retten.
    »Er kommt wirklich, Sir. Jetzt kann ich den Rauch riechen. Er ist aber noch ganz weit weg. Ganz weit.« »Wahrscheinlich auf der dritten Wolke links«, brummte Sloane. Er nagte verärgert an seinem Oberlippenbart. Witz und Ironie an ein neunjähriges Mädchen mit einem unaussprechlichen Namen zu verschwenden widersprach seinem Empfinden für Maß und Würde.
    »Es ist weißer Rauch«, jubelte Regina, »weißer Rauch. Owuor sagt, weißer Rauch bedeutet, dass es ein guter Tag wird.« Einen Moment vergaß sie, dass sie, so lange Mister Sloane neben ihr stand, noch eine Gefangene war. Die durfte man zwar sehen, aber nicht hören.
    Steven Sloane hätte die Anforderung an ein Kind, das ihm aufgehalst worden war wie ein überflüssiges Gepäckstück, ganz bestimmt so definiert. Ohne Regina wäre er längst in seinem teuren froschgrünen Ford unterwegs nach Naro Moru gewesen. Von dort wollte er um vier Uhr in der Früh mit zwei Kameraden zur Besteigung des Mount Kenya aufbrechen. Das Freundestrio brauchte den Tag davor dringend, um die restliche Ausrüstung zusammenzustellen und Vorräte zu kaufen. Der junge Lehrer hatte jedoch nicht gewagt, Whidetts Bitte abzulehnen, auf dem Weg nach Naro Moru Regina in den Zug zu setzen. Nun stand der Meisterkletterer da und versuchte, so auszusehen, als hätte er bis zum Jüngsten Tage Zeit, um sich auf den Weg zu seinem geliebten Berg zu machen, und doch scharrte er mit den Füßen wie ein ungeduldiges Pferd. Zweimal hintereinander murmelte er »verdammter Zug« und sagte einmal recht verschämt und kleinlaut: »Wer weiß, ob es in dieser gottverlassenen Gegend überhaupt ein funktionierendes Verkehrssystem gibt.«
    Regina schwankte ein paar Sekunden, ob sie Bestätigung nicken oder ihren Kopf schütteln sollte, verzichtete jedoch auf beide Äußerungen und entschied sich, auf einem Bein so still zu stehen, dass Mungu sie für einen Baum halten würde. Der

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