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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Thompson’s Falls abholen müssen. Selbstverständlich gab Regina auch keine Auskunft über das Pferd. Es handelte sich um einen jungen Apfelschimmel namens Creamcracker, auf dem sie bei Kinghorns Besuchen bei den Redlichs sogar allein bis zum ausgetrockneten Fluss reiten und sich in Königin Bodicea verwandeln durfte. Laut Versicherung seines Besitzers flog Creamcracker mindestens einmal im Monat in den Himmel und war jederzeit darauf eingestellt und sehr bereit, die Wünsche von neunjährigen Mädchen zu erfüllen. Auch und erst recht solche, für die die Eltern entweder kein Verständnis oder nicht genug Geld hätten. »Creamcracker weiß, dass ich in Wirklichkeit eine Königin bin«, hatte die Regentin in den letzten Ferien Kinghorn anvertraut.
    »Natürlich weiß er das. Ich habe mir die Freiheit genommen, ihm das zu erzählen, Memsahib kidogo.« Kinghorn nannte Regina grundsätzlich so. Obwohl sie es nicht hätten tun müssen, sprachen die beiden häufig Suaheli miteinander. In diesem speziellen Glücksfall war sich Regina indes im Klaren, dass Kinghorns Zauberross überhaupt nicht bemüht worden war. Ihr eigener Gott, zu dem sie allabendlich um Beistand für sich und um rasche Hilfe für ihre Großmutter, den Großvater und die zwei Tanten flehte, die in Deutschland zurückgeblieben und in allergrößter Gefahr waren, hatte das große Wunder an Königin Regina geschehen lassen. Vielleicht mit Unterstützung des schwarzen Gottes Mungu, der sich besonders gut auf die Bedürfnisse von Kindern in Afrika verstand.
    Harry William Whidett war ein Mann von Prinzipien. Seinen Schutzbefohlenen hatte er immer nur dann die Nichteinhaltung der Schulordnung gestattet, wenn Vater oder Mutter während eines Schulsemesters verstarben. Dieses eine Mal aber hatten sich die himmlischen Heerscharen Reginas angenommen und den eisernen Schuldirektor so milde gestimmt, dass er zwar äußerst grantig »Nur dieses eine Mal« gedroht, sie aber doch angelächelt hatte.
    Am folgenden Tag saß die vom Schuldirektor angelächel-te Regina auf ihrem abgeschabten braunen Lederkoffer. Ihre Beine in schwarzen Kniestrümpfen streckte sie in die Mittagssonne, wobei sie diese unvergleichliche Süße des Lebens auf dem stillen Bahnhof von Nakuru auskostete - unter Aufsicht eines Lehrers mit zornbebenden Nasenflügeln, der Ausschau nach dem Zug hielt, der ihn endlich zu einem freien Mann machen würde. Das Kind in der dunkelblauen Schuluniform, das ihm vorerst den Weg in ein Leben ohne Pflicht verwehrte, war zu beschäftigt, um die üble Laune seines Begleiters zu bemerken. Regina konzentrierte sich ausschließlich auf ihre lautlosen Danksagungen an Mungu und an Gott, wobei sie mit Mungu Suaheli und mit dem Gott aus Deutschland Englisch redete. Erst wenn sie bei ihren Eltern war, würde sie wieder Deutsch beten.
    Um der Schule zu entkommen, wäre Regina bereit gewesen, auf einem Bein zum Bahnhof zu hüpfen oder die drei Meilen entfernte Stätte der Erlösung per Handstand anzusteuern, doch solche Hochleistungen hatte niemand von ihr verlangt. Im Gegenteil. Wie eine Königin war Regina Redlich, das Refugeekind, das zu Semesterbeginn nicht einmal das vorgeschriebene Taschengeld vorweisen konnte, zum Bahnhof gefahren worden. In einem glänzenden, froschgrünen Ford T, den ein jeder in der Schule kannte. Das Prachtauto war nicht mehr neu, aber es hatte blank geputzte Scheinwerfer, eine Hupe, die sieben Tage in der Woche funktionierte, zwei ebenso zuverlässige Scheibenwischer, vorn schwarze Ledersitze und hinten für das Reserverad und eventuell mitgenommenes einheimisches Personal eine Holzbank.
    Obwohl die letzte Regenzeit ausgefallen und das Wasser entsprechend knapp war, wurde der Wagen wöchentlich zweimal mit einem Gartenschlauch abgespritzt und von zwei Gärtnern mit weißen Tüchern trockengerieben. Das umhegte Gefährt gehörte Steven Sloane. Ausschließlich seines Autos wegen sahen die Schüler und Schülerinnen ihm nach, dass er rote Haare wie der Teufel und die Iren hatte und dass seine Haut milchweiß war. Eine so farblose Haut wurde in der Nakuru School grundsätzlich als das Charakteristikum einer verweichlichten Konstitution eingestuft. Es gab Gerüchte, Mister Sloane wäre sowohl schwindsüchtig als auch moribund. Regina hatte sich nie eingehend mit seinen körperlichen Mängeln beschäftigt. Sie hatte noch kein Wort mit Sloane gesprochen, nicht einmal eine Gelegenheit gehabt, ihn auf dem Weg zur Morgenandacht zu grüßen.
    Bis zu dem

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