Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
diese forschen, braungebrannten, sportlichen Idole, die auf Surfbrettern überdimensionale Wellen bezwangen, Traummädchen geheimnisvolle Blicke zuwarfen, mit einem Satz in ein rotes Cabrio sprangen oder ihre Jeans auszogen, um das Auto einer bezaubernden Blondine abzuschleppen?
„Haben Sie einen Moment Zeit“, fragte Irina Honig, die Meinung dieses sensiblen Mannes über Piet Drachmann interessierte sie.
Lionel Brochard führte Irina Honig in sein kleines Zimmer, das gerade mal Platz für einen Schreibtisch und einen zweiten Stuhl hatte.
„Erzählen Sie mir etwas über Herrn Drachmann“, sagte sie dann aufmunternd lächeln.
„Herr Drachmann“, sagte Lionel leise und legte eine Pause ein, „Herr Drachmann war ein undurchschaubarer Mensch, obwohl man ihn sofort kategorisieren konnte.“
„Wie meinen Sie das?“
„Nun, jeder wird ihnen sagen, er war ein Arbeitstier und lebte nur für die Firma. Aber warum tat er das?“ Lionel senkte geheimnisvoll die Augenlider.
„Was glauben Sie?“
„Ich bin kein Psychologe, eine Deutung will ich mir nicht anmaßen. Ich beobachte nur.“
„Was ist Ihnen aufgefallen?“
„Er radierte viel, oft radierte er länger als er schrieb. Ich glaube, ich habe noch nie einen Menschen soviel radieren gesehen.
„Er wollte Dinge ungeschehen machen?“ warf Irina Honig vorsichtig ein.
Lionel zuckte mit seinen schmalen Schultern.
„Anne-Sophie Marrais und Herr Drachmann verstanden sich nicht. Welche Art von Auseinandersetzung hatten Frau Marrais und Herr Drachmann.“
„Die klassische zwischen Kreation und Beratung.“
„Und die wäre?“
„Der Berater ist der Pappenträger, er kreiert nicht, deshalb will er auf andere Weise das Sagen haben. Er will seinen Pissfleck machen, wie wir hier sagen, wenn sie was ändern wollen, am Layout, am Text.“
Irina Honig lachte, die Formulierung war ihr neu.
„Frau Marrais führte einen Machtkampf mit den Herren Beratern. Julien Villepin eingeschlossen. Sie wollte die Kreation bestimmen und sich nicht mittels der Berater die Kundenwünsche aufdrücken lassen. Ihr Lieblingssatz war: There’s never been anything nice or pretty done by a committee. Was soviel heißt wie: Viele Köche verderben den Brei.“
„Ein schöner Satz“ sagte Irina Honig.
„Ein wahrer Satz“, war Lionels Meinung. „Das Erfolgsrezept der ACB war, dass ein Kreativteam nur aus einem Texter und einem Art Director bestand. Bei anderen Agenturen sitzen oft an die zehn Leute um den Tisch, alle wollen die tolle Idee haben, da werden gute Ideen, oft vorzeitig gekillt, schon aus reiner Eifersucht.“
„Konnte Frau Marrais sich bei den Herren durchsetzen?“
„Manchmal ja, manchmal nein. Herr Drachmann war ein willkürlicher Mensch. Um einige Kunden kümmerte er sich überhaupt nicht, bei anderen wiederum achtete er auf jeden i-Punkt. Dann bat er zur Textbesprechung in sein chefmäßig ausgestattetes Zimmer. Gestützt durch eine hohe Lehne im Rücken und mit frisch gespitztem Bleistift durchforstete er die Zeilen.“ Lionel senkte wieder die Augenlider vor dieser Welt.
„Wenn ich Sie richtig verstehe, wollte Frau Marrais ihren Stil durchsetzen, scheiterte aber häufig an Herrn Drachmann, der die besseren Karten bei den Amerikanern hatte?“
Lionel zuckte mit den Schultern. „Die Amerikaner kenne ich persönlich nicht. Ich bin Herrn Miller nur einmal auf der Herrentoilette begegnet, da hat er freundlich gegrüßt. Ich kenne sie nur durch ihre Arbeiten, die sporadisch über den Teich geschickt werden. Und diese Werke lassen die branchenüblichen, gigantischen Kompromisse deutlichst erkennen. Anders formuliert, zwei nicht sehr kühne Geister haben sich getroffen und geeinigt“, Lionel senkte nicht nur die Augenlider, ein leiser Seufzer drang aus der Tiefe seiner Seele. „Wie meinen Sie das?“
„Alles ist eine Frage der Wellenlänge. Ein biederer Kunde bevorzugt eine biedere Agentur, gemeinsam machen sie biedere Sachen und hoffen, ein biederes Publikum zu erreichen. So schließt sich der Kreis. Die Firmenpolitik bestimmt, ob eine Agentur kreative oder banale Werbung macht. Macht sie kreative, zieht sie kreative Mitarbeiter und kreative Kunden an. Macht sie banale, zieht sie ängstliche Kunden an, Leute die Angst haben, mit ungewöhnlichen Ideen ihren Kopf rauszustrecken. Mit banaler Werbung kann man nichts falsch machen, wenn der Etat groß genug ist, man kann aber auch nichts groß bewegen.“
Irina Honig nickte, Lionel war ein ungewöhnlicher
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