Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
Vorsichtsmaßnahme und den Wunsch, die Firma auf längere Sicht gesund zu führen.“ Der Buchhalter sprach mit der Würde eines Mannes, dessen eigenes Gehalt nicht zur Debatte stand.
„Sie verstehen viel von Zahlen“, schmeichelte Ken Bernstein dem jungen Mann, „hielten Sie die Gehaltskürzungen für notwendig?“
„Ich arbeite mit den Zahlen, die man mir gibt. Und am Anfang des Jahres sah es nicht rosig aus. Doch wenn wir Glück haben, gleichen wir den Verlust des Etats von der ACL Yachting aus, das war ein VMC Kunde, ihr größter.
„Wie kam es zu diesem Verlust?“
„Dem Herrn Maillet, dem Oberboss, haben sehr wahrscheinlich die Sachen nicht gefallen, die hier gemacht wurden.“
„Der Preis, den die VMC für ihre Arbeit verlangte, kann es nicht gewesen sein?“
„Nun, die ALC hat natürlich mehr zahlen müssen als früher, weil es ja jetzt mehr Overheads gibt, aber dank der Overheads profitieren die Kunden vom Know-how der Smith, Henderson.“ Der Buchhalter zuckte mit den Schultern: „Fusionen bringen immer Kundenverluste. Woran es schlussendlich lag, weiß Herr Maillet vielleicht selber nicht.“
„Wie verstanden sich Herr Villepin und Piet Drachmann?“
„Die hielten so einen gewissen respektvollen Abstand. Die griffen sich nicht an. Wenn sie stritten oder, wie man so sagt, Meinungsdifferenzen hatten, war immer ein Papier auf dem Tisch. Der Villepin, sagen wir mal, hatte eine großzügige Art mit Geld umzugehen. Wenn der einen Kunden zum Essen ausführte, musste man auf der Rechnung gleich drei Leute eintragen, damit der Spesensatz wieder stimmte. In den letzten Monaten hat er den Geschäftsführer von Minnesota Instruments mit Hummerschwänzen geködert. Ich wette, das wird der erste Kunde der neuen Villepin S.A.
„Mit einer Sperrklausel könnte man verhindern, dass Herr Villepin einen Kunden hier abwirbt. Wissen Sie, ob es diese Sperrklausel in seinem Abfindungsvertrag gegeben hat?“
„Die gibt es nicht, darüber habe ich mich auch gewundert. Piet Drachmann hatte abgewunken, der Kunde wäre viel zu arbeitsaufwendig, der bringe nichts unter dem Strich.“
Ken Bernstein runzelte die Stirn und wechselte das Thema.
„Monsieur Villepin scheint ein vermögender Mann zu sein, beurteilt man ihn nach seinem Lebensstil.“
„Vermögend?“ Jean-Pierre Pecheur schien sichtlich erstaunt. „Er war der einzige hier, der immer einen Vorschuss brauchte. Dessen private Kasse stimmte nicht und das bei dem Gehalt. Bargeld hatte er auch nie bei sich, wie die Königin von England. Selbst die Groschen für die Toilette hatte er nicht dabei, wenn wir an einer Raststätte hielten. Aber ansonsten ganz Gentleman, immer höflich, immer charmant und mit allem nix am Hut. Ich weiß noch, was für einen Blick er mir zuwarf, als ich vorschlug, nicht so teures Toilettenpapier für die Firma einzukaufen. Wozu doppellagiges hier, wenn die Leute zu Haus auch mit einlagigem zurechtkommen. Alles summiert sich. Aber so etwas war unter der Würde des Herrn. Er war der Typ Mensch‚ über Geld spricht man nicht, das hat man, nur der hatte keins. Großzügig war er, ja, aber nur zu sich.“
„Sind das nicht die meisten Menschen heute?“
„Keiner hat etwas zu verschenken“, sagte der Buchhalter wieder mit beruhigter Stimme, „Großzügigkeit ist im Geschäftsleben auch nicht gefragt, wohl aber Korrektheit. Monsieur Villepin jedoch meinte immer, eine Extrawurst braten zu können.“
„Hätte irgendjemand Geld aus der Firma nehmen können und Herr Drachmann hat das möglicherweise entdeckt?“
„Das ist unmöglich, das würde ich sofort entdecken. Jeder Scheck mit nur einer Unterschrift ist ungültig, wird von der Bank gar nicht eingelöst. Ich kenne hier jede Zahl, Geld ist nicht verschwunden.“
Piet Drachmann hatte eine Freundin, kannten Sie die?“
Der Buchalte sah den Detektiv an, als ob er ihn gefragt hätte, einem Marsmenschen begegnet zu sein. “Eine Freundin, Piet Drachmann soll eine Freundin gehabt haben, wen denn?“
„Er hat Ihnen nie von ihr erzählt?“
„Nein, nie. Über Privates sprach er nicht. Schon mal über Autos oder die Bundeskanzlerin. Meist nur über das Geschäft, da gab es genug zu debattieren.“
„Sie sind noch sehr jung, aber Sie verdienen nach den Geschäftsführern hier das meiste Geld, ist das üblich in Frankreich?“
„In Anlageberatungsfirmen verdient man noch viel mehr“, sagte Jean-Pierre Pecheur mit Trotz in den Augen.
„Das ist ein anderer Job“, unterbrach
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