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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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Reihe von Kränkungen und traurigen Vorfällen, welche die Geschwister erduldet hatten, umhüllten Cara wie ein feuchtkalter Mantel und ähnelten den dichten Nebelschwaden an diesem Abend.
    Wie sie so neben ihrer Mutter vor dem Eingang stand und darauf wartete, dass jemand aufmachte, schnürte ein beklemmendes Gefühl ihr den Atem ab. Helles Kinderlachen war zu hören, dann vernahm man Schritte, als jemand die Treppe herunterpolterte. Im nächsten Augenblick flog die Haustür weit auf, und Julia begrüßte das draußen stehende Trio mit einer herzlichen Umarmung.
    „Da seid ihr ja endlich! Wir dachten schon, ihr hättet euch verlaufen! Wie lange braucht ihr denn vom Hafen bis hierher?“
    „Ich wollte nur noch eine kleine Runde durchs Viertel drehen“, erklärte Cara.
    „Na, dann herzlich willkommen und hereinspaziert! Die Kinder sind schon außer Rand und Band!“ In ihrem hübschen, blumigen Sommerkleid, das genau zu ihren hellblauen Augen passte, wirkte Julia schlank und grazil. Cara hatte sie Jahre nicht gesehen; Julias kecke, jugendliche Frohnatur war offenbar einer reifen Eleganz gewichen, die ihr durchaus zum Vorteil gereichte. Und doch bemerkte Cara hinter dem strahlenden Lächeln der Schwägerin eine bislang nicht gekannte Härte, besonders um die Augen, wo kleine Fältchen deutlich von nervlicher Belastung zeugten. Das einst lange, blonde Haar trug sie jetzt sportlich kurz, wodurch die großen topas- und brillantbesetzten Ohrringe noch wirkungsvoller zur Geltung kamen. Dazu hatte sie ein perfektes Make-up aufgelegt. Wäre Cara ihrer Schwägerin zufällig beim Einkaufen begegnet, hätte Julia garantiert ebenfalls wie aus dem Ei gepellt ausgeschaut.
    Dass Julia ihre Schwiegermutter in deren eigenem Haus wie eine Besucherin behandelte, kam Cara eigentlich ein wenig anmaßend vor. Doch vermutlich entsprach es dem Wesen einer Südstaatlerin, Gästen unbedingt das Gefühl zu vermitteln, sie seien willkommen. Im Gegensatz dazu benahm Toy sich eher störrisch, trat von einem Bein aufs andere und rang sich mit knapper Not ein halbherziges „Guten Tag“ ab. Cara kannte sie mittlerweile gut genug und wusste, dass sich hinter diesem Verhalten nur Toys Unsicherheit verbarg.
    Julia lachte über eine Bemerkung, die Lovie gemacht hatte, und geleitete die Gäste durchs Foyer zur Veranda. Cara blieb zurück, um sich ein wenig umzugucken. In Gestaltung und Atmosphäre entsprach das Haus mit den hohen Decken, den reichhaltigen Holzverzierungen, dem kunstvoll gemauerten Kamin und den blitzblanken Parkettfußböden im Wesentlichen den grandiosen historischen Anwesen, wie sie für Charleston typisch waren. Dennoch fiel Cara eine Veränderung auf, zwar auch im Interieur, doch mehr noch in der Stimmung. Die öden Tapeten, an die sie sich noch gut erinnerte, hatte man durch helle, fröhliche Wandanstriche ersetzt: Himbeerrot beherrschte das Esszimmer, Salbeigrün den vorderen Wohnbereich, kühles Blaugrün das Arbeitszimmer. An den Fenstern waren die schweren Brokat- und Samtvorhänge herrlichen Seidenstores gewichen, die geradezu von den drei Meter hohen Decken herabzuschweben schienen. Die leuchtenden Farben hoben wirkungsvoll die Antiquitäten hervor, die sich seit Generationen im Besitz von Caras Familie befanden.
    „Du machst ja ein Gesicht, als rechnetest du damit, dass hier jeden Moment ein Geist auftaucht“, bemerkte Palmer, als er seiner Schwester einen Gin Tonic brachte. Er hatte sich umgezogen und trug nun lange Hosen und Polohemd anstelle seiner Bootskluft.
    Cara wandte sich um, lächelte ihrem Bruder zu und nahm den Drink mit einem Dankeschön entgegen. „Du meinst Daddy, was?“
    Palmers Blick wanderte zu dem großen Ölportrait von Stratton Rutledge, das die Wand über dem Treppenabsatz dominierte. „Er ist immer noch da und schwebt hier herum. Ich kann dem verdammten Stinkstiefel einfach nicht entrinnen.“
    „Du hättest aber die Möglichkeit dazu gehabt.“
    Palmer schüttelte den Kopf und lachte verkrampft, wobei ein gehetzter Ausdruck in seine Augen trat. „Ich leite die Firma, wohne in diesem Haus, trage den Namen … Tja, was soll ich sagen? Es muss wohl mein Schicksal sein, und ich hab’s aufgegeben, davor wegzulaufen.“
    Cara blickte ihren Bruder an. „Jeder von uns bestimmt sein Schicksal selbst.“
    „Falls du das glaubst, Darling – ich hab da noch ein Stück Sumpfland, das ich dir gern überlasse!“ Er nippte an seinem Bourbon und grinste sie schelmisch an. Erneut spürte Cara die alte,

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