Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
Vom Netzwerk:
während das Boot Kurs auf die Spitze der Halbinsel von Charleston nahm. Mit einem Male merkte sie, wie sehr ihr die Kleine ans Herz gewachsen war – eine völlig ungewohnte Erfahrung. Sie lächelte liebevoll und freute sich, als Linnea ihr Lächeln erwiderte.
    Als das Boot sich der Stadt näherte, wurde es still an Bord. Cara schaute hoch. Beim Anblick der historischen Herrenhäuser, welche die Battery säumten und Charleston seine besondere Würde verliehen, regte sich Stolz in ihr. Reizvoll und graziös erhoben sie sich über der hohen Kaimauer, gleich einem Reigen von anmutig über eine Balustrade gebeugten schönen Frauen. Ganz egal, wie oft man dieses Panorama vor sich sah – niemand, weder Fremder noch Einheimischer, vergaß je das erhebende Gefühl, das sich einstellte, wenn man die Stadt aus dieser Perspektive betrachtete. Am eindrucksvollsten, überlegte Cara, wirkt Charleston noch immer vom Wasser aus.
    Bei gedrosseltem Triebwerk zog Palmers Power-Boot eine Spur quirlender Gischt hinter sich her und glitt sacht in den Jachthafen, wo sich Benzingestank mit dem Salzwassergeruch mischte. Cara war ein wenig flau im Magen vom Geschaukel zuvor.
    „Gleich sind wir da“, verkündete Linnea, wies dann zum Ufer und fügte mit kindlichem Besitzerstolz hinzu: „Das da drüben ist unser Haus!“
    Cara reckte den Hals und spähte angestrengt über die Mastspitzen hinweg in Richtung Bay Street. Tief holte sie Luft, ließ ihren Gedanken freien Lauf, quer durch das Gebäudegewirr aus Ziegelstein, Holz und Eisen bis hin zum Haus ihrer Kindheit. Und als sie ihre Mutter anguckte, da merkte sie zu ihrer Verblüffung, dass deren Blick auf ihr ruhte und ein leises, wissendes Lächeln um Lovies Lippen spielte.
    Im Schutz der Dunkelheit wagt sich die Meeresschildkröte an Land. Schwerfällig wie ein Panzer walzt sie den Strand hinauf und schleppt sich zu einer höher gelegenen Stelle, um das Nest zu schaufeln. Diese Tätigkeit obliegt ausschließlich den Weibchen. Die frisch geschlüpften Männchen hingegen streben gleich dem Meere zu und begeben sich so gut wie nie wieder an Land.

6. KAPITEL
    C aras Elternhaus, eine stattliche Villa im neoklassizistischen Stil, stand in einer der schmalen, von Fächerpalmen und Eichen gesäumten Seitenstraßen des so genannten „South of Broad“, jenem goldenen Stadtteil, in dem man dem Wohlstand noch in seinem vollen Überfluss begegnen konnte. Am passendsten war wohl der Begriff „entzückend“, wollte man die außergewöhnliche Architektur der historischen Herrenhäuser mit ihren pastellfarbenen Anstrichen, der Kirchen und Gärten mit ihren kunstvollen schmiedeeisernen Einfriedungen beschreiben. Anfang der sechziger Jahre, kurz nach Caras Geburt, hatten Olivia und Stratton Rutledge das etwas verwahrloste Anwesen zu einem Bruchteil seines jetzigen Verkehrswertes erworben, denn Lovie war auf Anhieb vom Charme und von der Grazie des Hauses begeistert gewesen, in dem Cara dann ihre gesamte Kindheit und Jugend verbracht hatte. Wie sich bald herausstellte, sollte das Wohnen darin zu einem wahren Abenteuer werden. Während der Ausschachtungsarbeiten beim Bau des Swimmingpools stieß Lovie auf zahllose Kunstgegenstände. Im Zuge jahrelanger, sorgfältiger Restaurierung gelang es ihr dann, das Gebäude mit seiner wunderbaren, auf drei Geschossebenen verlaufenden Veranda in seiner ursprünglichen Pracht neu erstehen zu lassen. Dass es über viele Jahre hinweg im herbstlichen Haus- und Gartenführer der Gesellschaft für Denkmalschutz Erwähnung gefunden hatte, war Lovies Verdienst gewesen.
    Cara stoppte am Straßenrand und betrachtete ihr inmitten majestätischer Eichen aufragendes Elternhaus. Sie wusste, es war beileibe nicht so, dass ein schönes Heim auch automatisch ein glückliches Zuhause bedeutete. Beim Aussteigen stellte sie fest, dass Nebelschwaden vom Hafen herankrochen und alles um sie herum grau verhüllten. Sie schlug die Wagentür zu und schritt wortlos über das unebene Trottoir Richtung Gartentor. Selbst jetzt, kurz vor dem Ziel, verspürte sie aufs Neue den Drang, auf dem Absatz kehrtzumachen und die Flucht zu ergreifen. Im Inneren dieser imposanten Villa lauerten Erinnerungen, denen Cara liebend gern aus dem Weg gegangen wäre – nicht etwa düstere oder anstößige Dinge, nichts, was skandalträchtige Schlagzeilen geliefert hätte, nein, sondern eine lautlose, doch tückische Art von traumatischer Erfahrung, die sie und Palmer hatten machen müssen. Gedanken an die lange

Weitere Kostenlose Bücher