Nur dieser eine Sommer
innige Verbindung, die zwischen ihnen bestanden hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. „Jedenfalls freue ich mich wie ’n Schneekönig, dich mal wieder zu treffen“, fuhr er fort. „Du siehst so klasse aus wie immer.“ Und nach einer ganz kurzen Pause: „Und so groß.“
Mit ihrer Körpergröße von fast einem Meter achtzig stand Cara ihm nahezu auf Augenhöhe gegenüber. Schon damals hatte es ihn gestört, dass Cara zwar jünger, dafür aber größer war als er. Mit einem verspäteten Wachstumsschub hatte Palmer seine Schwester schließlich dann doch noch überholt, wenn auch nur um zwei Zentimeter.
„Aber ich bin noch immer größer als du“, fügte er hinzu.
„Mir scheint, dass gilt auch für den Umfang, was?“
Er tätschelte sich zärtlich den Bauch. „Ja, ja, das kommt vom Eheleben. Da kannst du schlecht mitreden.“
„Bislang konnte ich mich drücken“, konterte sie ungerührt.
„Sag mal, woher hast du eigentlich all diese spinnerten Ideen? Jedenfalls garantiert nicht aus dem Süden. Wärst du hier geblieben, hättest du jetzt ’nen strammen Gatten und ’ne Horde Kinder! Ah, Vorsicht! Sie fährt schon die Krallen aus!“
„Wenn du wüsstest, wie oft Mama mir das schon unter die Nase gerieben hat! Ich kann’s nicht mehr hören!“
Er gluckste verständnisvoll und ließ seinen Whiskey im Glas kreisen. „Und wie lange bleibst du diesmal?“
„Keine Ahnung. Mama möchte mich ja länger hier behalten. Aber, ehrlich gesagt, ich werde schon allmählich zappelig, weil ich hier tatenlos herumsitze.“
„Mensch, Cara“, entgegnete er kopfschüttelnd. „Kannst du’s etwa nicht abwarten, dieses Paradies zu verlassen und wieder in das kalte Chicago abzuhauen? Ich kapier das einfach nicht!“ Dann legte er neugierig den Kopf schief. „Erwähntest du nicht einen Brief von Mama?“
Cara nickte und nippte an ihrem Gin. „Stimmt“, antwortete sie etwas ernster. „Unser bisheriges höflich-distanziertes Verhältnis funktionierte ja über die Jahre ganz ordentlich. Doch jetzt werde ich das Gefühl nicht los, als hätte sich seit Daddys Tod einiges in Mamas Leben verändert. Mir scheint, dass ich ihr fehle. Oder, was wahrscheinlicher ist, sie möchte, dass ich ihr beim Durchforsten von all dem Kram helfe, den er hinterlassen hat.“
Palmers Miene veränderte sich – kaum merklich zwar, aber doch so, dass Cara spürte, dass sie eine empfindliche Stelle berührt hatte.
„Durchforsten von Kram? Was denn für welcher?“
„Auch das ist mir schleierhaft. Vermutlich das ganze Gerümpel, das oben auf dem Dachboden herumsteht. Vielleicht will sie auch, da sie ja jetzt im Sommerhaus wohnt, einige Dinge hier aus dem Haus nach drüben schaffen. Vermutlich möchte sie das Haus verkaufen. Hat sie denn mit dir noch nicht darüber gesprochen?“
Palmer wandte sich kurz ab. Dann musterte er sie fragend. „Nein“, erwiderte er zögernd. „Nein, das hat sie nicht.“
„Ich glaube, sie …“
Ihr Bruder unterbrach sie und machte eine ausladende Handbewegung. „Und wie gefällt dir der alte Kasten jetzt?“
Der abrupte Themenwechsel verblüffte sie zwar, doch sie ging darauf ein. Wahrscheinlich, so schloss sie, fühlt er sich von unserer Mutter übergangen und ist entsprechend verschnupft.
„Sieht alles ganz anders aus“, erklärte sie und folgte ihm in den Wintergarten. „Wirkt irgendwie … wie soll ich sagen … jünger! Fröhlich sogar. Da muss ein hervorragender Innenausstatter am Werk gewesen sein.“
Er strahlte. „Alles Julias Verdienst! Es wäre echt nett, wenn du’s ihr gegenüber mal lobend erwähnen würdest. Sie hat sich mit jeder Kleinigkeit herumgeplagt. Dir kann ich’s ja verraten: Ich dachte schon, ich kriege Schielaugen, denn sie schleppte ständig diese dicken Musterbücher mit Stoffproben für Gardinen, Bettdecken, Kissenbezüge und weiß der Geier was sonst noch an, und ich musste die mit ihr angucken. Und die Einfassungen und Fransen erst! Du hast dein Lebtag nicht geahnt, dass es so viel von dem Zeug gibt!“
„Ich werde ihr sagen, dass sie alles ganz ausgezeichnet hinbekommen hat.“ Cara schaute in ihr Glas. „Und Mama? Hat sie gegen die Renovierung nicht protestiert?“
Palmer fixierte sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. „Protestiert? Wieso das denn, zum Teufel?“
„Weiß ich doch nicht! Immerhin hat sie so lange hier gewohnt …“
„Ach was, die Veränderungen gefallen ihr gut“, versicherte er im Brustton der Überzeugung. „Und Julia
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