Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
Die Maklerin inspizierte gerade das komplizierte Flechtwerk vor einem der Heizkörper.
Lissas Antwort bestand nur aus einem rätselhaften Lächeln. Die Maklerin ging an ihr vorbei und warf einen Blick ins Wohnzimmer. »Ich kann nicht glauben, dass Sie das Haus nicht im Familienbesitz behalten wollen.«
»Nun, es ist nicht viel Familie übrig«, sagte Lissa. »Nur unsere Großeltern. Und ein Onkel.«
»Die Großeltern sind völlig damit ausgelastet, in Arizona
Bingo zu spielen.« Julie kam von der Küche her den Flur entlang. »Und was unseren Onkel betrifft: Er ist auch ziemlich beschäftigt. Er heiratet gerade seine schwangere 40-jährige Freundin. Auf Hawaii. Also müssen meine Schwester und ich irgendwie dafür sorgen, dass das Haus angeboten und verkauft wird, o.k.?« Julie warf der Maklerin einen Blick zu, der ihr eindeutig signalisierte, dass ihr Besuch in diesem Haus bereits lange genug gedauert hatte.
Die Frau bedachte Julie mit einem vernichtenden Blick. »Ich werde mich um den Papierkram kümmern, und wir arrangieren Besichtigungstermine für den nächsten Samstag.«
»Großartig. Danke, dass Sie gekommen sind.« Julie ging zur Haustür und hielt sie ihr auf.
Als die Maklerin gegangen war, warf Julie einen Blick auf die Kiste an der Tür. Darin befanden sich einige Bücher, ein paar alte Puzzleteile, ein Strang Strickgarn, ein Set von Kerzenleuchtern, und ein kleines Häschen aus weißem Chenillestoff, den Staub und die Zeit grau gefärbt hatten. »Was ist das alles für ein Gerümpel, Liss?«
»Kleinigkeiten, die ich hier und da noch gefunden habe, weißt du. Ganz hinten in den Schränken und so. Nur Müll.«
Julie nahm das Aquarell und wollte es in die Kiste mit den anderen aussortierten Dingen stopfen. Doch Lissa nahm es ihr aus der Hand. »Das werde ich behalten.«
»Ein Bild von diesem Haus? Warum?«
»Weil es hier nicht nur schlecht war, Jules.«
In Julies Stimme schwang eine Art ironische Zustimmung mit: »Du hast recht.Wir haben hier eine Menge sehr wichtiger Dinge gelernt.« Sie lehnte das Aquarell gegen die Wand. Als sie an Lissa vorbeiging, nahm sie die Hand ihrer Schwester, und zusammen machten sie sich auf den Weg durch das leere Haus.
Nach einem langsamen, schweigenden Rundgang, der sie durch die Erinnerungen und den Staub führte, die mehr und mehr vom Wohnzimmer, dem Esszimmer und der Küche Besitz ergriffen, stiegen sie die Treppe hinauf.
Als sie durch die offenen Schlafzimmertüren traten, sagte Julie: »Willst du eine traurige Wahrheit wissen, Liss? Ich verdanke es dem Leben in diesem Haus, dass mir die Vorstellung vom Heiraten immer einen Riesenschreck eingejagt hat.« Sie lachte. Und es klang gleichzeitig traurig und spöttisch. »Unsere armen, alten Eltern. Was für einen beschissenen Deal sie doch hatten … Dad hat die ganze Zeit Kopfstände vollführt, um möglichst jeden glücklich zu machen, während Mom Trübsaal geblasen und ständig den Eindruck gemacht hat, ihr Herz würde jeden Moment brechen.«
Julie blieb in der Tür des Elternschlafzimmers stehen. »Irgendwann waren sie wahrscheinlich mal ineinander verliebt, aber schau dir nur an, was aus ihnen geworden ist. Ich meine, mir fallen die ganzen alten Geschichten wieder ein, wie sie während ihrer Collegezeit gewesen sind. Und wie sie manchmal sein konnten, wenn Onkel Barton und Tante Lily uns besucht haben. Dann waren sie ganz andere Menschen. Sie lachten und tanzten im Wohnzimmer herum. Und redeten über die alten Zeiten und den Spaß, den sie hatten, als sie noch nicht erwachsen waren.« Wieder lachte Julie, diesmal ohne jeden Spott, nur noch traurig. »Aber egal was sie am Anfang gemeinsam hatten … Am Ende sah es nur noch so aus, als würden sie eine Gefängnisstrafe absitzen.«
»Ich glaube nicht, dass es die ganze Zeit so war«, entgegnete Lissa.
»So wirkte es aber. Bei Mom jedenfalls. Erzähl mir nicht, dass sie die Ehe nicht wie eine lebendige Leiche durchlebt hätte.«
»Ja … vielleicht«, gab Lissa schwermütig zu. »In meiner Hochzeitsnacht, kurz bevor ich einschlief, habe ich mir geschworen, dass ich eine bessere Ehefrau und eine bessere Mutter sein wollte, als Mom es gewesen war. Und ich beschloss, alles so zu machen, wie sie es nicht gemacht hatte.« Lissa warf Julie einen Blick zu. Sie hatte eine Schulter leicht hochgezogen und hielt die Hände verschränkt wie ein ertapptes Kind. »Ich habe nie vor meinen Söhnen geweint. Nie.Wegen Mom war mir das wichtig. Ich hatte ihr Weinen damals so
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