Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
dessen, was richtig ist.«
»Aber was ist, wenn sie alle gleich richtig erscheinen? Was dann? Wofür entscheidet man sich? An welche ›Wahrheit‹ hält man sich?«
Aris Antwort war denkbar nüchtern: »Halt dich an die, die für die meisten Betroffenen den geringsten Schaden bedeutet.«
Justin ließ sein Handy zuschnappen. Er gab sich seinen Gedanken hin und sah die Gesichter von Amy und Zack vor sich. Und das von Cassie Jackson. Und von Ted Zelinski. Und das von Teds kleinem Sohn Stan.
Das Klappern von Geschirr - es war eine Hilfskraft, die den Tisch abräumte - holte Justin zurück in die Gegenwart. Er war in Palm Springs. Das Frühstück war beendet. Es war Zeit, auch seine Reise zu Ende zu bringen.
Als Justin sich von Amy verabschiedet hatte, um nach Connecticut zu fliegen, hatte sie gesagt: »Die einzige Art, auf die ich dich will, ist, wenn du mit ganzem Herzen hier bist. Ich
muss wissen, dass für dich niemals etwas anderes wichtiger ist als das, was wir von dir brauchen … Zack und ich.« In der Art, wie sie es sagte, lag eine geradezu unbarmherzige Aufrichtigkeit. Justin fühlte sich an ein Gespräch erinnert, das er mit ihrem Vater geführt hatte. Letztes Jahr. Kurz nach jener ersten Reise in die Lima Street.
»Das Einzige, wofür ein Mann sich schämen muss«, hatte Don gesagt, »ist, wenn er nicht das Nötige für die Sicherheit und das Glück seiner Familie tut. Das bedeutet Rechtschaffenheit. Dahinter muss alles andere zurückstehen.«
Was Don damals gesagt hatte, war das, was auch Amy meinte, als Justin nach Middletown aufgebrochen war. Zur Antwort hatte er sie bloß geküsst. Dann hatte er das Haus mit dem Geschmack ihrer Tränen auf seinen Lippen verlassen, und er war diesen Geschmack während seiner gesamten Reise nicht losgeworden. Er nahm ihn auch jetzt noch wahr, auf der Straße, die ihn aus Palm Springs herausführte.
Die Landschaft zu beiden Seiten des Highways war außergewöhnlich; weite Flächen grellweißen Sandes, der mit schwarzen Felsbrocken übersät war; und aus dem Sand wuchsen Wälder silberner, turmhoher Windkrafträder. Ihre schlanken Rotoren drehten sich in einem stillen Unisono 30 Meter hoch über dem Boden, angetrieben von Strömen heißen Wüstenwindes. Justins Fahrt dauerte keine drei Stunden. Sie führte ihn aus der Wüstenlandschaft um Palm Springs heraus auf einen Freeway, der viele Meilen parallel zu Eisenbahnschienen verlief, die von zahllosen Zügen mit offenen, flachen Frachtwaggons befahren wurden. Diese Waggons transportierten riesige Container, deren Seiten mit plakativen, werbewirksamen Namen verziert waren. Uniglory und Evergreen.
Die Poesie dieser Namen weckte seine Aufmerksamkeit,
und er fragte sich, ob er sie als Omen verstehen sollte, als Boten des Guten, das er schlussendlich tun würde. Er hatte seine Entscheidung getroffen.Trotzdem rührte er sein Handy nicht an. Er wartete weiterhin ab und ließ die Meilen vorbeiziehen. Er brauchte immer noch Zeit, um mit dem, was er vorhatte, ins Reine zu kommen.
Als er spürte, wie es passierte - als er die Veränderung wahrnahm, seine vorbehaltlos Akzeptanz des Mannes, der er von nun an sein würde -, erreichte er gerade das urbane Gewimmel des Los Angeles County.
Er griff nach dem Handy und wählte. Amy nahm sofort ab. »Bevor du irgendetwas sagst«, begann sie, »hör mir erst einmal zu, o.k.? Ich habe über eine Menge Dinge nachgedacht.« Der raue Klang ihrer Stimme gab ihm plötzlich das Gefühl, wieder atmen zu können.
»Ich weiß, dass alles mit deinen Eltern zu tun hat«, sagte Amy. »Damit, dass sie dich einfach loswerden wollten. Und du glaubst, dass, wenn du in einem normalen Zuhause aufgewachsen wärest, sich alles besser entwickelt hätte. Aber so muss es nicht sein.«
Einen Moment herrschte Stille. Amy schien ihre Gedanken zu ordnen, ehe sie fortfuhr: »Ich hab’ mal einen Typen gekannt … vor langer Zeit … der ein Stipendium für Harvard bekommen, es aber nicht angenommen und sich im letzten Moment entschlossen hatte, nach New York zu ziehen, um Schauspieler zu werden. Und ständig sagte er: ›Ich hätte nach Harvard gehen sollen‹, als wäre sein Leben dadurch automatisch in die richtigen Bahnen gekommen. Aber man weiß es einfach nicht. Ich meine, vielleicht wäre er nach Harvard gegangen, ein hohes Tier in einer tollen Firma geworden und hätte trotzdem eine zickige Frau geheiratet; oder er wäre bei einem halb legalen Aktiengeschäft
erwischt worden, das seine Karriere ruiniert
Weitere Kostenlose Bücher