Nur ein einziger Kuss, Mylord?
Platz, der früher einmal der Burghof gewesen sein musste. Anscheinend hatte man bereits nach ihnen Ausschau gehalten, denn als die Chaise beim Eingangsportal vorfuhr, kamen drei Kinder und ein Hund die Treppen heruntergerannt.
Verblüfft beobachtete Christiana, wie Lord Braybrook, kaum dass er ausgestiegen war, von den Kindern und dem Hund umringt wurde. Plötzlich schien sich eine Glaswand vor ihr zu erheben, die sie, wiewohl durchsichtig, von dem lebhaften Kreis um Seine Lordschaft ausschloss.
„Hast du uns etwas mitgebracht?“
„Warum kommst du jetzt erst zurück? Du hattest versprochen, gestern wieder da zu sein!“
Lord Braybrook hinderte den bellenden Hund daran, an ihm hochzuspringen, hob den kleineren der beiden Jungen auf den Arm und sagte: „Um Himmels willen, seid still, ihr drei. Aus, Juno! Ihr benehmt euch, als sei ich einen Monat lang fort gewesen! Wie geht es dir, Davy? Warst du auch brav?“
„Klar.“ Der kleine Junge nickte energisch.
„Er lügt“, widersprach der ältere Junge, den Christiana auf etwa fünfzehn schätzte. „In Wirklichkeit war er eine wahre Plage, Julian. Gestern Abend hat er sich auf der Eingangstreppe angeleimt, damit er nicht zu Bett gehen musste, bevor du zurück bist. Sein Hosenboden klebt immer noch dort.“
„Jawohl!“, mischte sich das Mädchen ein. „Und Mama befahl uns , ihn aus der Hose herauszuziehen, nachdem der Stoff nicht mehr abging. Sie sagte, wir seien daran schuld, weil wir auf ihn hätten aufpassen sollen!“
Trotz des schwachen Lichts der Kutschenlaternen hatte Christiana den deutlichen Eindruck, dass es Seiner Lordschaft Mühe bereitete, ernst zu bleiben. Auch sie musste sich ein Lachen verbeißen.
„Davy?“ Obwohl Lord Braybrooks Stimme durchaus sanft klang, war ein strenger Unterton nicht zu überhören.
„Du hattest versprochen , dass du gestern zurück bist!“, murmelte der kleine Junge.
„Hm. Ich wurde aufgehalten. In Zukunft gehst du zu Bett, wenn man es dir sagt, nicht wahr?“ Der ernste Ton verlangte Gehorsam und war gleichzeitig liebevoll. Fürsorglich.
„Na gut, das hat Mr. Havergal auch gesagt. Hast du uns nun etwas mitgebracht?“
„Wer ist Mr. Havergal?“, wollte Seine Lordschaft wissen.
Davy zuckte mit den Schultern. „Irgend so ein Bekannter von Mama. Kennst du ihn nicht? Er kommt sie oft besuchen.“ Er zupfte am Rockaufschlag seines älteren Bruders. „Sag doch, ob du uns etwas mitgebracht hast!“
„Nein, nur eurer Mama.“
„Mama?“, wiederholten drei verwunderte Kinderstimmen im Chor.
Lord Braybrook setzte den kleinen Jungen ab, tätschelte den Kopf der Setterhündin und drehte sich zur Kutsche um. „Gestatten Sie mir, Ihnen beim Aussteigen zu helfen, Miss Daventry.“
Als Christiana sich erhob, stellte sie fest, wie entsetzlich steif sie war von der langen Fahrt. Ihre Beine schienen sie kaum tragen zu wollen. Vorsichtig trat sie an die offene Tür.
Lord Braybrook ergriff ihren Ellbogen, und etwas, das sich anfühlte wie eine Stichflamme, schoss in ihr hoch. Erschrocken hob sie den Blick.
Die Mundwinkel Seiner Lordschaft bogen sich nach oben – zu einem Lächeln, das Mitgefühl verriet.
„Ich nehme an, Ihre Glieder sind ein wenig verkrampft, Miss Daventry. Mir geht es genauso.“
Das wagte Christiana zu bezweifeln. Er war aus der Kutsche gesprungen wie ein junger Hirsch. Von Verkrampftheit keine Spur.
„Ich danke Ihnen, Mylord.“ Immer noch spürte sie die prickelnde Hitze. Was für ein Unsinn! Sie war erschöpft. Bildete sich Dinge ein. Ihr war kalt, und seine Hand war warm.
Er gab ihr Halt, als sie die Trittleiter hinunterstieg. Hielt sie fest, als sie ins Stolpern zu geraten drohte.
„Dies ist Miss Daventry“, stellte er sie vor. „Miss Daventry, das sind meine jüngste Schwester Emma und meine beiden Brüder Matthew und Davy.“
Christiana zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Guten Abend, Emma, Matthew, Davy.“ Schnuppernd kam der Setter zu ihr. Sie beugte sie zu ihm und kraulte sein seidiges Fell.
„Und das ist Juno“, erklärte Seine Lordschaft. Die Hündin lief schwanzwedelnd zu ihm.
„Guten Abend, Miss Daventry“, sagte Emma höflich.
„Guten Abend, Madam.“ Matthew verneigte sich leicht.
Davy machte ein finsteres Gesicht. „Hat Julian sich wegen Ihnen verspätet?“
Genau besehen, war sie tatsächlich der Grund. „Ich fürchte ja, Davy“, räumte sie ein. „Seine Lordschaft gewährte mir einen zusätzlichen Tag, um mich auf die Reise hierher
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