Nur ein einziger Kuss, Mylord?
folgte Miss Trentham. „Wollen wir uns in der Zwischenzeit kurz unterhalten, Julian?“, hörte sie Lady Braybrook im Hinausgehen sagen. In den Worten Ihrer Ladyschaft klang etwas Stählernes mit.
„Darf ich also um eine Erklärung bitten?“ In Serenas Stimme lag eine ungewohnte Schärfe.
Julian hatte den Rollstuhl in ein kleines Empfangszimmer geschoben. „Das Ganze ist eine List“, antwortete er ruhig, schloss die Tür und wandte sich zu seiner Stiefmutter um. „Die Rolle der Gesellschafterin soll sie nur zur Tarnung spielen. In Wirklichkeit habe ich sie engagiert, damit Lissy zur Vernunft kommt.“ Er zog sich einen Stuhl herbei und erläuterte Serena die Einzelheiten seines Plans.
„Ich verstehe“, erklärte Serena schließlich. Und ihn beschlich der Verdacht, dass sie viel mehr verstand, als ihm recht sein konnte. Hoffentlich war ihr wenigstens entgangen, welch unerklärliche Anziehungskraft Miss Daventry auf ihn ausübte. Nicht dass es von Belang war; er würde dieser Attraktion ohnehin nicht nachgeben.
„Immerhin scheint mir Miss Daventrys Erscheinung schlicht genug für die Rolle einer Gesellschafterin und Gouvernante“, setzte Serena nachdenklich hinzu.
Schlicht? „Keineswegs, Serena“, erwiderte er steif. „Sie ist noch in Trauer. Ihre Mutter ist vor Kurzem verstorben.“
Ein Funken Erheiterung stahl sich in Serenas Miene. „Ach so“, sagte sie leichthin. „Nun, ich denke, ich könnte einen Teil meiner Trauergarderobe für sie umarbeiten lassen. Es würde Lissy zu denken geben.“
„Also willst du, dass sie bleibt?“ Was zum Teufel hatte dieses Gefühl von Erleichterung zu bedeuten, das in ihm hochschoss?
Serena sah ihn nachdenklich an. „Doch, ja, mein Lieber. Ich glaube, sie wird ihre Aufgabe hervorragend meistern. Sie ist alles andere als unaufrichtig, nicht wahr?“
„Unbedingt.“ Neben Sanftmut wäre Unaufrichtigkeit gewiss die letzte Eigenschaft, die er mit Miss Daventry in Verbindung gebracht hätte.
Christiana versuchte sich ihre Schockiertheit nicht anmerken zu lassen. Der Speisesalon war mit mehr Kerzen erleuchtet, als sie in einem ganzen Jahr verbrauchte, und etwa so groß wie das gesamte Erdgeschoss ihres Hauses in Bristol. Und da es Wachskerzen waren, hing nicht einmal der Geruch von Talg in der Luft.
„Schön, dass Sie da sind.“ Lady Braybrook hatte ihren Platz an dem runden Tisch bereits eingenommen. Sie saß neben Seiner Lordschaft und Matthew, die sich bei ihrem Eintreten höflich erhoben.
„Setzen Sie sich neben mich, Miss Daventry“, forderte Ihre Ladyschaft sie auf. „Ich möchte mich für meine Taktlosigkeit von vorhin entschuldigen. Sie müssen das Gefühl gehabt haben, in einem Irrenhaus gelandet zu sein. Unglücklicherweise hat mein Stiefsohn es nicht für nötig befunden, mich von seinen Plänen zu informieren.“ Sie warf Lord Braybrook, der um den Tisch herumschlenderte, um Christiana einen Stuhl zurechtzurücken, einen sprechenden Blick zu.
Christiana murmelte ein Dankeschön, als sie Platz nahm. Die Manieren Seiner Lordschaft ließen nichts zu wünschen übrig, ganz im Gegensatz zu der hochfahrenden Selbstherrlichkeit, die er sonst an den Tag legte.
„Ich bitte um Verzeihung, Serena.“ Lord Braybrook ging zu seinem Stuhl zurück und setzte sich.
„Mama“, meldete Lissy sich zu Wort. „Miss Daventry erzählte mir vorhin, dass sie Mr. Daventrys Schwester ist!“ Ihre Augen funkelten vor Aufregung. „Darf ich ihm schreiben, dass sie hier ist?“
Christiana fing Lord Braybrooks Blick auf. Sie wandte sich an das junge Mädchen. „Wie aufmerksam von Ihnen, Miss Trentham!“, versetzte sie freundlich. „Aber ich habe mir bereits die Freiheit genommen, Harry selbst zu informieren.“ Einer boshaften Eingebung folgend fügte sie hinzu: „Indes wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihn davon in Kenntnis setzen würden, dass ich nach Bristol zurückgekehrt bin und ihm so bald es geht wieder schreibe.“
Ein eigentümlich erstickter Laut drang aus Lady Braybrooks Richtung an ihr Ohr. Christiana wandte den Kopf. Ihre Ladyschaft hatte die Serviette zum Mund geführt und betupfte sich eingehend die Lippen. In ihren Augen stand ein belustigtes Funkeln.
„Aber nein, Miss Daventry, das wird nicht notwendig sein. Nun, da mein Stiefsohn mir die Umstände seiner Entscheidung erläutert hat, darf ich sagen, dass ich höchst erfreut bin, Sie hier zu haben“, sagte sie und sah ihre Tochter an. „Ja, Lissy, Julian hat mich über die Verwandtschaft
Weitere Kostenlose Bücher