Nur ein einziger Kuss, Mylord?
…“
„Es ist in Ordnung. Schließlich könnte sie ein Straßenmädchen oder eine berüchtigte Kurtisane gewesen sein.“ Ihre Stimme klang bitter.
Er schüttelte den Kopf. „Unwahrscheinlich. Ein Straßenmädchen hätte dich nicht zu dem erzogen, was du bist – eine Dame. Und bei einer berüchtigten Kurtisane wäre es Alcaston niemals gelungen, die Existenz von Kindern geheim zu halten. Auch dass deine Mutter sich als Witwe ausgeben musste, passt nicht dazu. Erzähl mir von ihr!“
Christy schwieg einen Moment lang, den Blick nach innen gerichtet, als suche sie sich zu erinnern. Schließlich sah sie ihn an. „Von meiner Mutter selbst weiß ich nur wenig. Das meiste habe ich mir aus Briefen und ihrem Tagebuch zusammengereimt.“
Er nickte, und sie fuhr fort. „Sie war die Tochter eines niederen Landadeligen, dessen Anwesen in der Nähe von Alcastons Herrensitz lag. Ihr Name war Catherine Louisa Daventry.“
„Ihr wirklicher Name?“
Christy zog die Stirn in Falten. „Ja. Ich fand Briefe meines Großvaters und jenes Tagebuch, das sie führte, bevor und unmittelbar nachdem sie durchgebrannt war.“
„Gut.“ Es war sicherer, nachzufragen. Ein falscher Name konnte sich als ein Grund erweisen, die Rechtmäßigkeit der Eheschließung anzufechten.
„Dem Tagebuch entnahm ich, dass sie glaubte, Alcaston würde sie heiraten“, fuhr Christy fort. „Aber der vorhergehende Duke hatte enorme Schulden aufgehäuft, und Alcaston entschloss sich, eine steinreiche Erbin zu ehelichen. Natürlich verschwieg er das meiner Mutter, als er mit ihr durchbrannte. Als ihre Familie sie schließlich aufgespürt hatte, war Alcaston bereits mit seiner Erbin vermählt und ich unterwegs. Meine Mutter wurde von ihrem Vater verstoßen.“
„Erhielt sie Unterstützung von Alcaston?“
Christy biss sich auf die Lippe. „Er hatte ihr eine Leibrente ausgesetzt, die mit ihrem Tod erlosch, und er ließ ihr das Haus in Bristol, nachdem er ihrer müde geworden war. Weil er Schuldgefühle hatte, nehme ich an“, setzte sie kühl hinzu.
„Wünschst du, dass ich an die Familie deiner Mutter herantrete?“, fragte Julian ruhig.
Sie zuckte zusammen. „ Nein ! Ich habe sie angeschrieben, als Mama krank war, als sie im Sterben lag. Ihr Bruder schickte eine knappe Notiz zurück, dass er keine Schwester habe.“
Julian nickte. Ehrbare Familien taten alles, um die Schande einer Tochter zu verbergen. Und oft waren es Unschuldige, die darunter zu leiden hatten.
„Dann übergehen wir sie einfach.“
Der Schatten eines Lächelns huschte über ihre Züge. „Ich bezweifle, dass sie es überhaupt bemerken werden.“
„Ihr Schaden“, sagte er leichthin. Und meinte es so.
Seit zwölf Stunden war sie die rechtmäßig angetraute Gattin Viscount Braybrooks.
Die Hochzeitsgäste hatten sich verabschiedet, außer denjenigen, die über Nacht bleiben würden. Christy stand am Fenster ihres Schlafzimmers und sah aus dem Fenster. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden und hatte den Himmel in glühende Feuerfarben getaucht, vor denen sich die Silhouetten der Bäume im Park ausnahmen wie Scherenschnitte.
Es war noch immer recht früh am Abend, zu früh in jedem Fall, um bereits ein Nachthemd anzuziehen. Aber die Zofe, über die sie seit heute verfügte, hatte schon auf sie gewartet, als sie heraufgekommen war, und umgehend begonnen, sie bereitzumachen. Bereit .
Sich der Prozedur zu fügen war Christy leichter erschienen, als dagegen zu protestieren, und das heiße Bad ein ungewohnter Luxus für sie. Ebenso wie die Öle und Essenzen, die Beth in das dampfende Wasser geträufelt hatte.
„Ihre Ladyschaft – Mrs. Havergal, wollte ich sagen – hat sie mir extra gegeben, Mylady. Für Ihre Hochzeitsnacht.“ Ein verschwörerisches Lächeln hatte die Worte der Zofe begleitet.
Wie sehr hätte sie all das genossen, selbst in Gegenwart Beths, die sich ein ums andere Mal vergewisserte, dass alles zu ihrer Zufriedenheit war. Aber die duftenden Schwaden, die von ihrem Bottich aufstiegen, hatten Christy nur daran erinnert, dass sie einem Ritual unterworfen wurde. Dass man sie vorbereitete. Schmückte. Reizvoll machte für ihren Gatten.
In einem Punkt war sie standhaft geblieben – sie hatte es abgelehnt, das hauchdünne Gespinst aus Spitze und Seide, das ein Nachthemd sein sollte, zu tragen. Es war ein Geschenk von Serena, doch bei der Vorstellung, Braybrook derart entblößt gegenüberzutreten, zumal in der Intimität ihres Schlafzimmers, hatte sie
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