Nur ein einziger Kuss, Mylord?
vor Panik kaum atmen können.
Stattdessen trug sie nun ihr schlichtes, hochgeschlossenes Baumwollnachthemd, das ihr zumindest die Illusion von Sicherheit vermittelte.
Eine trügerische Illusion. Braybrooks Zimmer lag gleich nebenan, nur eine Verbindungstür trennte die beiden Räume, und seit einer Weile schon vernahm sie Geräusche von dort und undeutliche männliche Stimmen. Sie hatte Beth so rasch wie möglich entlassen, und die Zofe hatte sich mit einem Knicks und einem Augenzwinkern empfohlen. Das war schlimm genug gewesen, doch wenn Braybrook erschienen wäre, bevor das Mädchen das Zimmer verlassen hatte …
Ein Räuspern hinter ihr ließ sie erstarren. „Christy?“
14. KAPITEL
Julian hatte eine ganze Weile an der Verbindungstür gestanden und Christy, die umflossen vom schwindenden Licht des Tages am Fenster saß, betrachtet. In sich aufgenommen, wie ihre nackten Füße den Boden berührten, die wohlgeformten schlanken Waden entblößt, die Konturen ihres anmutigen, biegsamen Körpers von dem bescheidenen Nachthemd eher betont als verhüllt. Ihr Gesicht war von ihm abgewandt, während sie in den dunkler werdenden Park hinausblickte.
Das Verlangen nach ihr bäumte sich förmlich in ihm auf, dennoch zögerte er. Ihre zitternde, klamme Hand, die der Vikar bei der Trauung in seine gelegt hatte, war ihm zu gegenwärtig. Obgleich Christy danach in bewundernswerter Weise Haltung bewahrt hatte. Er wusste, dass es sich um eine Fassade handelte, eine Mauer, die sich einreißen ließ. Und es war nicht lange her, dass er sich gefragt hatte, was es brauchte, ihre Selbstbeherrschung zu erschüttern.
Die Hochzeitsnacht würde es tun, ohne Zweifel.
Und was war mit seiner eigenen Selbstbeherrschung?
Er schob den Gedanken beiseite. Seine Selbstbeherrschung hatte er nie infrage stellen müssen. Bei keiner Frau bisher. Und auch jetzt nicht.
Er räusperte sich. „Christy?“
Sie blieb reglos sitzen, aber ihre Ruhe hatte plötzlich etwas Angespanntes. Die Beherrschtheit, mit der sie sich zu ihm umdrehte, tat ihm weh.
„Mylord?“
Ihre förmliche Anrede gab ihm einen Stich. Julian trat in den Raum, und sie glitt von der Fensterbank. Ihr Nachthemd fiel an ihren Beinen herab und verhüllte sie züchtig. Er deutete auf die Verbindungstür. „Kommst du?“
Sie sah ihn verständnislos an.
„Unsere Hochzeitsnacht. Es ist dir doch nicht entfallen?“
Sie errötete. „Natürlich nicht. Ich … ich dachte nur …“ Ihr Blick flog zu dem aufgedeckten Bett, und er begriff, was sie durcheinanderbrachte.
„In meinem Bett“, verlangte er ruhig. Für diese Nacht erschien es ihm angemessen.
Ihre Augen weiteten sich, ein kaum wahrnehmbares Beben durchlief sie. Wortlos ging sie im Raum umher, blies die Kerzen aus und griff nach ihrem Morgenrock, der über der Sessellehne hing.
„Du wirst ihn nicht brauchen“, sagte Julian leise. Sie würde auch das Nachthemd nicht brauchen, doch er wollte sie nicht noch mehr beunruhigen.
Ihre Hand schwebte einen winzigen Moment über dem Morgenrock, dann ließ sie den Arm sinken und kam auf ihn zu. Er trat zurück, um sie vorbeigehen zu lassen. Ein Duft nach Rosen und Geißblatt und warmer Weiblichkeit stieg ihm in die Nase. Er biss die Zähne zusammen, um dem Verlangen, sie in seine Arme zu reißen, Herr zu werden.
Was war los mit ihm? Sie war eine Frau wie jede andere. Was hatte sie an sich, das seine Selbstkontrolle derart auf die Probe stellte? Er zwang sich, seine Arme schlaff herabhängen zu lassen. Besser er gab ihr keinen Hinweis auf die Dringlichkeit seines Begehrens. Sie schien ihm verängstigt genug. Und abgesehen davon würde er ihr mehr Schmerz als nötig bereiten, wenn er sich gehen ließ. Die Vorstellung, ihr wehzutun, konnte er nicht ertragen. Ohnehin fragte er sich, wie er die Ehe auf eine handhabbare Grundlage stellen sollte, wenn der Gedanke an den unvermeidlichen – wenn auch vielleicht nur leichten – Schmerz, den er ihr bereiten musste, ihm schon jetzt den Magen umdrehte.
Er blieb im Türdurchgang stehen und beobachtete sie, wie sie sein Schlafzimmer durchquerte. Das schlichte Nachthemd verbarg alles. Das tanzende Licht der Kandelaberkerzen ließ nicht den Schatten einer Silhouette ihres Körpers erkennen. Weder ihre langen, schlanken Beine noch ihre wohlgerundete Kehrseite, noch die reizvolle Linie ihrer Hüften, die für die Hand eines Mannes wie geschaffen schien. Warum begehrte er sie, wie er noch keine Frau vor ihr begehrt hatte? So sehr, dass das
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