Nur ein Gerücht
Nadine.«
Erstaunt tauchte ihr Blick aus der Zeitung auf, in die er bis zu meinem Auftauchen vertieft gewesen war. »Carla ...?«
Ich setzte mich ihr gegenüber. »Ich muss mit dir reden!«
»Na, dann los«, forderte sie mich mit einem undefinierbaren Funkeln in den Augen auf.
Ich gab mir Mühe, langsam zu sprechen. »Karen hat dich bei der Polizei angezeigt. Sie ist der Überzeugung, dass du versucht hast, jedem Mitglied der glorreichen Fünf massiv zu schaden, indem du Gerüchte über sie in die Welt gesetzt hast.«
»Welche Gerüchte kursieren denn über sie?«, fragte sie amüsiert. »Dass sie üble Schweine sind, die auch dann nicht Halt machen, wenn jemand bereits am Boden liegt?« Von einer Sekunde auf die andere wandelte sich ihre Stimmung. »Dass sie aus dem Verkehr gezogen werden müssten? Das ist kein Gerücht, Carla, das ist eine Tatsache!« Sie schob ihren Teller beiseite, auf dem noch ein halbes Marmeladenbrötchen lag. »Alle haben sie Berufe gewählt, die sie mit vielen Menschen zusammenbringen. Ist das nicht perfide? Diese menschenverachtende Bande treibt einfach weiter ihr Unwesen.«
»Das weißt du nicht«, sagte ich in dem Versuch, sachlich zu bleiben.
Sie starrte mich an, als habe ich ihr gerade einen Dolchstoß versetzt. »Du verteidigst sie? Hast du vergessen, was die mit dir gemacht haben?«
»Das lässt sich nicht vergessen, Nadine, das weiß ich genauso gut wie du. Aber man kann es in der Vergangenheit zurücklassen.«
»Wozu?« Ihr Blick entwickelte eine fast unheimliche Kraft. »Um dich von ihnen zu lösen, um wieder frei zu sein. Und um ihnen die Macht zu nehmen, die sie über dich haben.«
»Ich nehme ihnen die Macht auf meine Weise«, sagte sie, indem sie jedes Wort betonte. »Du und ich, wir waren schon immer sehr verschieden.«
»In einem waren wir gleich - wir waren beide Außenseiterinnen.«
»Und wir sind es geblieben.« Ihr Mund nahm einen bitteren Zug an.
lch sah sie unverwandt an. »Du hast Fotos von mir gemacht.« Sie lehnte sich zurück, verschränkte ihre Arme vor der Brust und musterte mich schweigend.
»Du hast mich beobachtet und bist in mein Haus eingedrungen. Was wolltest du da?«
»Ich mache Urlaub hier, Carla«, entgegnete sie mit Bedacht. »Und im Zuge dessen habe ich auch hin und wieder ein Foto gemacht, aber hinsichtlich meiner Motive liegst du falsch. Warum sollte ich ausgerechnet dich fotografieren? Allein die Vorstellung schreit zum Himmel.«
Hätte sie die Sache mit den Fotos ohne Zögern zugegeben, hätte ich für möglich gehalten, dass sie für alles andere nicht verantwortlich war. Aber sie log mich an, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie machte noch nicht einmal den Fehler zu fragen, woher ich von den Fotos wusste.
»Ich habe die Fotos gesehen, und es gibt keinen Zweifel daran, dass du sie gemacht hast«, sagte ich leise. »Ich hatte gehofft, du wärst es nicht gewesen.« Mein Hals wurde eng. »All die kleinen Attacken gegen mich - warum? Warum hast du plötzlich damit aufgehört? War meine Entschuldigung die Zauberformel?«
Ohne mich aus den Augen zu lassen, zog sie mit dem Nagel ihres Zeigefingers Linien über das weiße Tischtuch.
»Warum jetzt - nach all diesen Jahren?«, fragte ich.
»Weil es nicht aufhört ... nie. Weil ich dem Ganzen ein Ende setzen musste.« Sie sah sich aufmerksam um, ob uns jemand zuhören konnte. Erst als sie sicher war, dass, was auch immer sie sagte, nur an meine Ohren drang, fuhr sie fort. »Es gibt immer jemanden, der dich in den Dreck zieht. Ich hatte viel Erfolg in meinem Beruf, aber mit dem Erfolg kamen die Neider. Sie haben mich mit Schmutz beworfen.«
Und das hatte die alten Wunden wieder aufbrechen lassen. Susanne hatte also Recht gehabt.
»Du weißt, wie es ist, wenn jemand versucht, dir deine Würde zu nehmen, wenn du dich beschmutzt fühlst. Nur gibt sich nicht jeder mit Erlösungsphantasien zufrieden, in denen ein Baseballschläger die Wirklichkeit simuliert.« Die Kälte in ihrer Stimme ließ mich schaudern.
»Du wolltest sie beschmutzen, so wie sie dich beschmutzt haben«, sagte ich langsam. »Du hast versucht, sie durch Gerüchte in den Dreck zu ziehen.«
Wir blickten uns stumm an.
»Warum ich?«, fragte ich. »Ich habe dich nie in den Dreck gezogen.«
»Du hast mich im Stich gelassen.« Ihr Mund war nur noch eine schmale Linie.
»Ja, das habe ich. Aber damals war von meinem Selbstbewusstsein so gut wie nichts mehr übrig. Woher hätte ich die Courage nehmen sollen, dir
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