Nur ein Gerücht
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12
E s waren bedrohliche Träume, die mich gegen Morgen heimsuchten. Jemand verfolgte mich. Meine Beine waren jedoch so bleischwer, dass ich nicht fliehen konnte. Die Angst, ausgeliefert zu sein, ließ mich schweißgebadet aufwachen. Als ich nach einem beruhigenden Abstecher zu Oskar beim Stall ankam, erwartete mich dort bereits Hans Pattberg.
»Guten Morgen«, sagte ich kühl.
Der Urwald auf seinem Kopf und in der Nase schien noch dichter geworden zu sein. Nachdem er mir einen Briefumschlag in die Hand gedrückt hatte, zog er einen zerknitterten Zettel und einen Stift aus seiner Hosentasche. »Quittieren Sie mir bitte den Empfang!«
»Was ist das?«
»Die Kündigung.«
Ich stopfte den Umschlag in die Hosentasche, setzte meine Unterschrift unter den von ihm vorbereiteten Text auf dem kleinen Zettel und drängelte mich grußlos an ihm vorbei. »Wollen Sie den Brief nicht lesen?«, fragte er lauernd.
»Wozu?«
»Dann akzeptieren Sie?« Seine Stimme klang augenblicklich drei Nuancen freundlicher. »In dem Fall wäre ich sogar bereit, Ihnen eine geringfügige Verlängerung zuzugestehen. So ein Umzug muss gut vorbereitet werden.«
»Ich habe fünf Jahre Zeit, das sollte reichen!« Auf dem Weg zur Futterkammer blieb er mir so dicht auf den Fersen, dass ich meinte, seinen Atem im Nacken zu spüren.
»Sie werden sich noch wünschen, auf mein Angebot eingegangen zu sein. Der Hof gehört mir und ich bestimme, was damit geschieht.«
Nach außen hin ungerührt, belud ich den Futterwagen. »Sie haben bestimmt, was damit geschehen soll, als Sie den Vertrag unterschrieben.«
Meine Worte schienen ihn bis aufs Blut zu reizen. »Spätestens in vier Wochen lasse ich den Hof räumen«, schnauzte er mich an. »Sie haben Ihre Chance gehabt.«
Mit Schwung wendete ich mich zu ihm um. »Welche Chance?«
»Dass wir uns gütlich einigen.«
»Es bedarf keiner Einigung. Das Recht ist auf meiner Seite«, sagte ich selbstsicherer, als mir zumute war. »Und jetzt lassen Sie mich bitte arbeiten, die Pferde warten auf ihr Futter, wie Sie hören.« Das Wiehern und Scharren aus dem Stall wurde immer fordernder. »Ich muss den Betrieb am Laufen halten.« Er kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen. »Man hört derzeit nichts Gutes über den Betrieb. Sachen verschwinden, Reifen werden zerstochen, die Pferde werden krank - alles sehr unbeliebt bei der Klientel.«
Ich machte Anstalten, ihm mit dem Futterwagen über die Füße zu fahren.
Betont langsam verließ er die Futterkammer, nicht ohne mir vorher noch einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. »Sie hören von meinem Anwalt!«, rief ich ihm mit klopfendem Herzen hinterher.
Eine Minute lang hatte ich darüber nachgedacht, der Kündigung von Hans Pattberg nachzugeben, meine Sachen zu packen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Immerhin hatte ich einmal gute Erfahrungen mit dem Flüchten gemacht. Aber ich hatte mich verändert mit den Jahren. Ich war nicht mehr die schüchterne Carla, die ihren Kummer in Form von Übergewicht mit sich herumschleppte und keine Widerworte fand, um sich zu wehren. Das, was ich mir aufgebaut hatte, war es wert, dafür zu kämpfen. Ich war nicht nur um zwanzig Jahre älter geworden, sondern auch um zwanzig Jahre stärker.
Mit diesem Bewusstsein betrat ich die Kanzlei von Rechtsanwalt Neupert. Wie seine Sekretärin mir sagte, war er unterwegs zu einem Gerichtstermin. Ich bat sie, ihrem Chef das Kündigungsschreiben vorzulegen und ihn zu bitten, eine Antwort zu formulieren.
Als ich in einigermaßen zuversichtlicher Stimmung in den Stall zurückkehrte, erwartete Basti mich dort mit besorgter Miene.
»Eines der Pferde?«, fragte ich wie aus der Pistole geschossen. »Nein, keine Sorge, aber es fehlt ein Halfter und ...«
»Ein Halfter? Ich habe erst gestern Abend alles kontrolliert, bevor ich abgeschlossen habe. Bist du sicher?«
Er nickte. »Ich habe überall nachgesehen.«
»War heute Morgen schon jemand im Stall?«
»Ich habe niemanden gesehen, was natürlich nicht heißt, dass niemand hier war. Wenn wir die Pferde auf die Koppel bringen, könnte jeder schnell hinein und wieder hinaus, ohne bemerkt zu werden. Aber dann müsste derjenige Heide und mich beobachtet haben.«
»Würdest du das merken?«
Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.« Und nach einem Moment nachdenklichen Schweigens: »So früh am Morgen kommt eigentlich nie jemand in den Stall.«
»Genauso wenig wie spät abends, außer ...«
»Du verdächtigst hoffentlich nicht
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