Nur ein Gerücht
In dieser Zeit starb auch noch mein Vater. Er war mein einziger Angehöriger gewesen. Das wenige, das er mir hinterließ, war von so unschätzbarem Wert für mich ...« Sie schluckte hart.
»Lass es gut sein, Susanne ...« Ich wollte nicht, dass die Erinnerungen sie quälten.
Doch sie winkte ab. »Eine goldene Armbanduhr, eine Krawattennadel und passende Manschettenknöpfe. Ich habe diese Schmuckstücke wie meinen Augapfel gehütet.« Sekundenlang verlor sie sich in ihren Gedanken, bevor sie fortfuhr. »Mit der Zeit versank ich immer tiefer in meiner Einsamkeit. Anstatt meine alten Freunde zu besuchen, vergrub ich mich in meine Arbeit. Als ich schließlich Lutz kennen lernte, fiel ich ihm wie eine reife Frucht in die Hände. Ich war ihm so dankbar, dass er mich aus meinem Unglück herauszerrte, dass ich vieles gar nicht bemerkte. Ich war noch nicht einmal verliebt in ihn.« Sie sah mit einem angespannten Gesichtsausdruck durch mich hindurch.
»Gerechterweise muss ich sagen, dass er mir anfangs gut tat«, erzählte sie weiter. »Wir haben sehr viel unternommen, ich habe seine Freunde und Bekannten kennen gelernt und ich lebte wieder auf. Ich begann, mich heimisch zu fühlen und wieder aktiver zu werden. Je weiter ich aber meine Flügel spannte, desto stärker versuchte er, sie mir wieder zu stutzen. Es fing eher schleichend an, ich merkte erst, wie sehr er mich.einengte, als ich begann, mich hin und wieder mit Menschen außerhalb seines Freundes - und Bekanntenkreises zu treffen. Er machte jedes Mal ein fürchterliches Theater. Das ging so weit, dass er mir schließlich eigene Kontakte verbot und handgreiflich wurde. Da packte ich eines Tages heimlich meine Sachen und verließ ihn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion.« In ihrer Stimme schwang ein Ton mit, der ahnen ließ, dass sie Lutz unterschätzt hatte.
»Nur die Schmuckstücke meines Vaters konnte ich nicht mitnehmen. Er hatte sie versteckt. So ging ich kurz darauf in seiner Abwesenheit noch mal zurück, um in Ruhe danach zu suchen. Aber er hatte in der Zwischenzeit die Schlösser austauschen lassen. Als ich ihn anrief und bat, mir die Erbstücke meines Vaters auszuhändigen, behauptete er, ich hätte alles mitgenommen, was mir gehörte.«
Susanne zündete sich eine weitere Zigarette an und inhalierte tief, bevor sie weitersprach. »Ich war so überzeugt, im Recht zu sein, dass ich noch nicht einmal die simpelsten Vorsichtsmaßnahmen ergriff, als ich in seine Wohnung einbrach. Es waren Nachbarn, die die Polizei riefen. Kurz darauf wurde ich vor Gericht gestellt.« »Aber du hast dir nur zu deinem Recht verholfen.«
»Lutz behauptete, die Erbstücke gehörten ihm und ich hätte sie ihm aus Rache gestohlen, weil er meine Liebe verschmäht habe.«
»Gab es denn keine Zeugen dafür, dass sie dir gehörten?« »Es gab einen Freund meines Vaters. Aber der litt unter so starker Demenz, dass er sich nicht erinnern konnte. Außer ihm kannte die Sachen nur eine Freundin von Lutz, ich hatte sie ihr einmal gezeigt. Aber sie schuldete ihm viel Geld. So sagte sie vor Gericht für ihn aus anstatt für mich. Sie haben ihm, dem unbescholtenen Bürger, geglaubt und mich zu einem halben Jahr Gefängnis ohne Bewährung verdonnert.«
»Du warst auch unbescholten.«
»Bis zu dem Tag, als ich bei ihm eingebrochen bin.«
»Was hättest du denn stattdessen tun sollen?«, fragte ich aufgebracht.
»Ich hätte den Rechtsweg beschreiten müssen.«
»Da hätte auch Aussage gegen Aussage gestanden.«
»Aber ich wäre nicht im Gefängnis gelandet.« Dieser Satz sollte zweifellos eine Warnung für mich sein.
»Hier gibt es aber keine direkten Nachbarn«, gab ich zu bedenken. »Wer sollte also die Polizei rufen?«
»Zum Beispiel sein Enkel.«
»Der sitzt an einem Freitagabend ganz bestimmt nicht zu Hause.«
»Dann jemand, der zufällig gerade vorbeikommt. Es ist ein Fehler, sich auf sein Glück zu verlassen.«
»Und was ist mit den Sternen?«
»Die raten dir zu äußerster Vorsicht«, antwortete sie ernst. »Lass die Finger davon!«
13
G egen Katzenjammer hilft manchmal ein Tapetenwechsel«, sagte Ilsa Neumann teilnahmsvoll, als wir uns am nächsten Tag in der Stallgasse begegneten. »Wann haben Sie das letzte Mal Urlaub gemacht, Frau Bunge?«
Es war so lange her, dass ich überlegen musste. »Vor knapp sechs Jahren. Wenn man einen so kleinen Betrieb hat wie den Bungehof, dann wird Urlaub irgendwann zum Fremdwort. Aber ich vermisse ihn auch gar nicht, schließlich leben wir hier
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