Nur ein Gerücht
Haut nur retten. Kommen Sie!« Vorsichtig stand ich auf. »Bleiben Sie einfach dicht hinter mir. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir beide in den See fallen.«
Er folgte meiner Aufforderung. »Der Sage nach ist dieser See aus den Tränen eines unglücklich verliebten und betrogenen jungen Mädchens entstanden.«
»Ich weiß«, sagte ich knapp. Christian hatte mir von der Sage erzählt. »Ihr Auserwählter hat sie allerdings ganz konventionell mit einer Geschlechtsgenossin betrogen.«
»Sie machen Fortschritte, Carla.« Sein Spott war leise, aber unüberhörbar. »Wenn ich Ihren Satz richtig interpretiere, dann empfinden Sie Viktor als unkonventionell.«
»Sie nutzen tatsächlich jede Gelegenheit, mir meinen Vater schmackhaft zu machen.«
»Wenn Sie mich jetzt wieder mit einem Vertreter vergleichen, bin ich Ihnen ernstlich böse.«
Während ich mich vorsichtig Schritt für Schritt vorantastete, peilte ich in Gedanken den Waldweg an. »Sollten Sie jemals ein Empfehlungsschreiben für den Eintritt in diese Berufssparte benötigen, können Sie auf mich zählen«, entgegnete ich trocken.
Er hielt sich dicht hinter mir. »Ich denke, ich kann auch sonst auf Sie zählen.«
»0 nein!« Ich blieb abrupt stehen, so dass er in mich hineinlief. »Es wird keinen zweiten Besuch bei meinem Vater geben.« Es war so stockfinster, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich zu orientieren. Trotzdem machte ich zwei große Schritte ins Ungewisse und schuf eine ausreichende Distanz zwischen uns. Endlich hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen. Um nicht gegen einen Baum zu laufen, ruderte ich mit ausgestreckten Armen durch die Luft. »Sie waren nicht zufällig bei den Pfadfindern und haben Nachtwanderungen gemacht?«, rief ich hinter mich.
»Mit dem Zufall hatte das nichts zu tun.« Seine Stimme klang heiter. »Mein Vater sah darin ein probates Mittel, einen richtigen Mann aus mir zu machen. Sollten Sie jetzt allerdings auf meine Navigationshilfe hoffen, muss ich Sie enttäuschen. Wir hatten bei unseren Nachtwanderungen stets Taschenlampen dabei.«
»Wie langweilig!« Ich blieb stehen und lauschte. Bis auf den Wind, der durch die Bäume strich, war nichts zu hören. Nicht einmal ein in der Ferne vorbeifahrendes Auto, das mir den Weg zur Straße gewiesen hätte.
Auf dem Hinweg hatte ich keine zehn Minuten bis zum Steg gebraucht. Jetzt schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis wir zum Parkplatz zurückfänden. Aber irgendwann war es geschafft. »Kommen Sie gut nach Hause, Herr Lehnert!«
Im Licht der Straßenlaterne sah ich, wie sich ein wissendes Lächeln auf seinem Gesicht breit machte. »Mich würde ein Wiedersehen mit Ihnen erfreuen.«
»Das kann ich mir denken. Machen Sie's gut.« Ohne eine Entgegnung abzuwarten, stieg ich ins Auto und fuhr davon.
Als ich den Feldweg zu meinem Haus hinauffuhr, glaubte ich, einen schwachen Lichtschimmer wahrzunehmen. Wie das Flackern einer Kerze im Wind. Lange Zeit war ich völlig angstfrei gewesen, aber in letzter Zeit war zu viel geschehen, als dass ich jetzt alle Vorsicht in den Wind schlug. Ich fuhr mein Auto bis dicht vor den Durchgang in der Buchenhecke, so dass sich das Haus im Licht der Scheinwerfer erhob.
Fast augenblicklich stieg mein Adrenalinspiegel: Jemand hatte die Kerze im Windlicht angezündet, das auf dem Gartentisch stand, und sich daneben auf einen Stuhl gesetzt. Der Mann hielt seine Hände abwehrend gegen das Licht. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass Christian dort saß und offensichtlich auf mich wartete.
Ich stieg aus und lief in den Garten. »Du hast mich erschreckt!«
»Und du hast mir gefehlt.«
Stirnrunzelnd schüttelte ich den Kopf, als könnte ich damit die Emotionen abwehren, die mich bei seinen Worten überfielen.
»Willst du dich nicht zu mir setzen?«, fragte er.
»Nein.«
Er musterte mich aufmerksam. »Was ist passiert? Du siehst aus, als habe jemand deine Seele bloßgelegt.« In seine Überraschung mischte sich ein Hauch von Eifersucht.
Ich wandte mein Gesicht ab.
»Willst du nicht wissen, warum ich gekommen bin?«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Weißt du es denn?«
»Ich wollte dich sehen.«
»Du meinst, nur weil dein Liebesleben sich jetzt zufrieden stellend gestaltet und damit wieder ein Platz für mich in deinem Leben ist, brauchst du hier nur vorbeizukommen und mich mit deiner wieder erwachten Freundschaft zu ködern? Das funktioniert nicht, Christian.«
»Was weißt du über mein Liebesleben? Und
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