Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nur ein Gerücht

Titel: Nur ein Gerücht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
Vom Netzwerk:
was meinst du überhaupt mit ködern?«, fragte er verletzt.
    »Bist du etwa nicht verliebt? Und bin ich damit etwa nicht wieder im Rennen als gute Freundin?«
    »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass dir das nicht reicht.«
    »Das ist keine Antwort auf meine Fragen!« Damit kehrte ich ihm den Rücken, lief zum Haus und schlug die Tür unmissverständlich hinter mir zu.
    Ohne Licht zu machen, setze ich mich im Dunkeln auf mein Sofa und starrte durchs Fenster nach draußen, wo Christian noch geschlagene zehn Minuten sitzen blieb. Dann stand er auf, holte sein Fahrrad, das er innen gegen die Hecke gelehnt hatte, und fuhr davon.

16
    W ürden Sie ein Foto von uns machen?« Ein junges Mädchen hielt mir bittend ihren Fotoapparat entgegen. Seit fünf Minuten saß ich an einem Gartentisch der  Ole Liese  und wartete auf Nadine. Immer wieder ging ich in Gedanken die Worte durch, die ich nach all diesen Jahren nun endlich loswerden wollte.
    »Bitte ...«, insistierte das Mädchen.
    Geistesabwesend sah ich auf. Vier Generationen ihrer Familie hatten sich auf der Vortreppe der  Ole Liese  in einem Halbkreis aufgestellt und warteten darauf, in einem Bild festgehalten zu werden.
    »Natürlich«, beeilte ich mich zu sagen und nahm den Apparat entgegen.
    Der Blick durch den Sucher versetzte mir einen Stich. Ich beneidete diese Menschen um das scheinbar unbeschwerte Miteinander, das ihnen selbstverständlich zu sein schien. Langsam drückte ich auf den Auslöser.
    »Danke«, sagten alle wie aus einem Munde.
    Ich gab den Fotoapparat zurück und sah ihnen hinterher. »Immer noch auf der Suche nach der heilen Familie?« In beiger Leinenhose und weißer Bluse, mit locker auf die Schulter fallenden Haaren kam Nadine auf mich zu.
    »Ja.« Ich fühlte mich ertappt.
    Ihre mit pastellfarbenem Gloss geschminkten Lippen verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. Der Ausdruck ihrer Augen blieb hinter der dunklen Sonnenbrille verborgen.
    »Danke, dass du gekommen bist.« Mit einem Mal schienen die Worte, die ich mir zurechtgelegt hatte, wie weggefegt. Wie sollte ich anfangen?
    Nachdem die Kellnerin unsere Bestellung entgegengenommen hatte, nahm Nadine die Sonnenbrille ab und musterte mich in aller Ruhe.
    »Wie ist es dir ergangen?«, durchbrach ich das Schweigen. 
    »Warum interessiert dich das nach all den Jahren?«
    »Ich habe dich nie vergessen.«
    Spöttisch zog sie die Augenbrauen hoch.
    »Was hast du nach der Schule gemacht?«
    »Kunst studiert«, antwortete sie einsilbig.
    »Und arbeitest du in diesem Bereich?«
    Sie nickte. »Als freie Illustratorin und Bildhauerin.« Ihr Blick war distanziert. »Warum wolltest du mich treffen?«
    »Weil mir schon lange etwas auf der Seele liegt.« Nachdem ich den ersten Schritt getan hatte, fiel der zweite nicht mehr schwer. »Ich habe dich damals im Stich gelassen.«
    Ihrer Miene zeigte keine Regung. Nicht einmal höfliches Interesse an dem, was ich sagte, konnte ich erkennen.
    »Du hast dich bestimmt gefragt, warum ich mich nie mehr bei dir gemeldet habe, nachdem wir nach München gezogen sind.« Ich straffte meine Schultern. »Es war nicht nur die maßlose Erleichterung, alles hinter mir gelassen zu haben. Es lag auch an meinem schlechten Gewissen.«
    Unter ihrem unbewegten Blick fühlte ich mich zunehmend kleiner werden. »Du erinnerst dich sicher an den Tag, als die  glorreichen Fünf  nach dem Unterricht mit dir im Biologieraum geblieben sind ...«
    »Als wäre es gestern gewesen!«, sagte sie tonlos.
    »Du hast mich damals gefragt, warum ich dir nicht geholfen habe. Und ich habe dir geantwortet, dass ich nicht wisse, wovon du sprichst.«
    »Auch daran erinnere ich mich.«
    »Ich habe dich angelogen.«
    Fast unmerklich kniff sie ihre Augen zusammen. »Ich weiß. Die Tür zum Nebenraum war nur angelehnt. Du hättest taub sein müssen, um nicht zu hören, was im Unterrichtsraum los war. Später habe ich mich oft gefragt, wer von euch schlimmer war: die fünf oder du.«
    Mir war, als hätte sie einen Pfeil auf mich abgeschossen, der sein Gift in Sekundenschnelle in meinem ganzen Körper verteilte. »Kommt es bei dieser Frage nicht ganz entscheidend auf das Motiv an?«
    »Auf das Motiv?«, schnaubte sie verächtlich. »Wenn du jemandem ein Messer in die Brust stichst, ist es demjenigen egal, aus welchem Grund du es tust. Das Motiv spielt nur für den Richter eine Rolle, nicht für das Opfer. «
    Ich holte tief Luft, um den Ring um meine Brust zu sprengen. »Ich war feige

Weitere Kostenlose Bücher