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Nur ein Gerücht

Titel: Nur ein Gerücht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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sich seine Homosexualität nicht eingestehen wollte. Sie rumorte in ihm und ließ ihm keine Ruhe, aber er wehrte sich dagegen. Er hat sich sehr lange etwas vorgemacht. Als Ihre Mutter schwanger war, war er heilfroh. Er hatte die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Vor allem die Erwartungen, die er selbst in sich setzte.«
    »Wissen Sie, was Sie da gerade tun? Sie zerstören den letzten Rest an Illusion, den ich mir noch bewahrt habe. Dass ich nicht gerade ein Kind der Liebe war, wusste ich. Aber als der personifizierte Männlichkeitsbeweis für meinen Vater herumzulaufen, finde ich alles andere als erstrebenswert.«
    »Sie sind doch sonst auch fähig, die Grautöne zwischen Schwarz und Weiß zu erkennen, Carla. Warum nicht bei Ihrem Vater? Gefallen Sie sich in der Rolle der ungeliebten Tochter? Was auch immer der Grund war, Sie in die Welt zu setzen - Ihr Vater hat Sie geliebt und er tut es noch.«
    »Dann hat er aber eine sehr merkwürdige Art, das zu zeigen.«
    »Sie sind die Tochter Ihres Vaters, Carla. Er war im Verleugnen ähnlich gut wie Sie. Auch er hat das mit Beschwerden bezahlt, die ihn dazu zwangen, sich mit seiner Situation auseinander zu setzen. Er konnte nicht mehr schlafen und drohte, in einer ernst zu nehmenden Depressivität zu versinken. Während seines Selbstfindungsprozesses hat er sich dann in einen Mann verliebt, was ihm einerseits eine lang ersehnte Erlösung brachte, ihm andererseits schwere Schuldgefühle Ihnen und Ihrer Mutter gegenüber auflud.«
    »Offensichtlich war ja irgendwann die Erlösung stärker als die Schuldgefühle«, sagte ich voller Häme.
    »Glauben Sie allen Ernstes, es wäre für Sie alle besser gewesen, er hätte geschwiegen und sich weiter verleugnet?«
    Verbissen presste ich die Lippen zusammen.
    »Nicht nur Sie haben einen Preis gezahlt, Carla. Auch Ihr Vater. Er hat Sie gehen lassen müssen.«
    »Und was ist mit meiner Mutter?«
    »Erzählen Sie mir von ihr«, forderte er mich auf.
    Während ich den Geräuschen des Wassers lauschte, das glucksend die Pfähle des Stegs umspielte, starrte ich in die Dunkelheit. »Sie war lange Zeit fassungslos, zutiefst verletzt und enttäuscht«, begann ich stockend. »Ich glaube, sie hat damals mit allem gerechnet, nur nicht damit. Nach ihrem Empfinden hätte ihre Ehe glücklicher sein können, aber sie war der Überzeugung, dass es weit schlechtere Beziehungen gab. Als mein Vater ihr dann eröffnete, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt, hat sie zunächst versucht, ihre Ehe zu retten.Schließlich ist sie sich der Aussichtslosigkeit ihrer Situation bewusst geworden. Mit einer Frau hätte sie es aufgenommen, aber mit einem Mann konnte sie nicht konkurrieren.«
    »Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?«
    Ich schüttelte den Kopf, bis mir bewusst wurde, dass er das im Dunkeln nicht sehen konnte. »Erst sehr viel später.«
    »Das heißt, Sie wurden in Ihrem Kummer völlig allein gelassen.«
    »Was erwarten Sie von meiner Mutter?«, fragte ich ihn vorwurfsvoll. »Sie ist kein Übermensch.«
    »Genauso wenig wie Ihr Vater, Carla.«
    »Sie wollten, dass ich ihn besuche. Das habe ich getan. Falls Sie darauf gehofft haben, dass ich weinend vor seinem Bett zusammenbreche und es zu einer großen Versöhnungsszene kommt, dann muss ich Sie enttäuschen.«
    »Worauf haben Sie gehofft, als Sie ihn heute besucht haben?«
    »Vielleicht auf eine Art Wiedergutmachung«, antwortete ich zögernd. »Auf ein >Tut mir Leid< aus seinem Mund.«
    »Es tut ihm Leid, Carla.«
    »Das heißt, er würde heute anders entscheiden?«
    »Seine eigentliche Entscheidung hat er nie bereut, Carla. Aber unter seiner Sprachlosigkeit Ihnen gegenüber hat er sehr gelitten. Sehen Sie eine Möglichkeit, Frieden mit ihm zu schließen?«
    Ich fuhr mir müde übers Gesicht. »Damit er in Frieden sterben kann?«
    »Und damit Sie in Frieden leben können«, antwortete er, als sei es das Nächstliegende.
    »Lassen Sie uns gehen, Herr Lehnert. Es ist spät geworden.«
    »Mit Gehen wird unsere Fortbewegung wenig zu tun haben. Ich tippe bei dieser Dunkelheit eher auf ein Vorwärtstasten. Wenn ich mich recht entsinne, befinden sich in diesem Steg ein paar ernst zu nehmende Löcher. Und ich habe noch nie zu den Beherzten gehört.«
    »Dafür sind Sie aber mir gegenüber sehr forsch und fordernd aufgetreten.«
    »In sehr seltenen Ausnahmefällen schlüpfe ich vorübergehend aus meiner Haut.« Ich hätte darauf schwören können, dass er lächelte.
    »Im Augenblick müssen Sie Ihre

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