Nur ein Gerücht
aber vielleicht würde dem Besuch der Polizisten gelingen, was mir bisher offensichtlich versagt geblieben war - ihn einzuschüchtern. Nur allzu deutlich spürte ich, dass sich etwas ändern musste. Meine Nerven waren am Rand ihrer Belastbarkeit angekommen. »Du ziehst mich der Gesellschaft deiner Mäuse vor?«, fragte Susanne mit liebevollem Spott, als ich sie nach dem Füttern an ihrer Töpferscheibe überfiel.
Mein missmutiges Nicken war Antwort genug.
»Hast du Hunger?«
Ich schüttelte den Kopf. Die Faszination, die sonst von mir Besitz ergriff, wenn Susanne den Ton formte, wollte sich an diesem Abend nicht einstellen. Blicklos starrte ich vor mich hin.
»Möchtest du reden?«
»Nur das nicht!«
»Baden?« Da ich nur eine Dusche hatte, benutzte ich hin und wieder Susannes Badewanne für ein entspannendes Vollbad. »Ich glaube ja.«
»Du weißt ja, wo alles ist.«
Ohne ein weiteres Wort durchquerte ich die Werkstatt, ging ins Bad und ließ das Badewasser ein. Nachdem ich duftendes Öl dazugegossen hatte, stieg ich in die Wanne. Ich ließ das Wasser so lange laufen, bis es mir bis unters Kinn reichte. Dann schloss ich die Augen und versuchte, mich nur noch auf das wohlige Gefühl meines Körpers zu konzentrieren.
Das entspannende Öl, das mir bisher noch nie seine Wirkung versagt hatte, tat sich an diesem Abend schwer mit meiner Unruhe. Ständig drängten sich Gesprächsfetzen und Bilder in mein Bewusstsein, die scheinbar überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Mit jeder Minute, die verstrich, wurden meine Gedanken diffuser. Es war wohl meiner Erschöpfung zuzuschreiben, dass ich von einer Sekunde auf die andere einschlief. Ich sah Heide auf Finn reiten, während sie drei weitere Pferde am Zügel neben sich herführte. Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und sagte: »Ich rette die Pferde.« Ich wollte sie zurückhalten, aber meine Stimme gehorchte mir nicht.
»Aufwachen, Carla! « Susanne saß auf dem Badewannenrand und sah mich besorgt an. »Wenn du dich umbringen willst, dann tue das bitte nicht in meiner Badewanne.«
»Warum nicht?«
»Ich bade gern allein - ohne Wiedergänger.«
»Egoistin!« Noch vor zehn Minuten hätte ich schwören können, dass meine humorvolle Ader langfristig versiegt war, aber Susanne schien sie neu zu speisen.
Sie hielt mir ein Handtuch hin. »Zieh dich an und komm hinaus in den Garten.«
Meine Glieder waren von dem Entspannungsbad ganz schwer geworden, ich bewegte mich wie in Zeitlupe. Als ich endlich angezogen war, suchte ich mir eine Decke und hüllte mich hinein. Für eine Weile wollte ich die wohlige Wärme in meinem Körper bewahren.
Susanne lag, umgeben von drei Katzen, auf einer Gartenliege. Auch auf der zweiten Liege hatte sich eine Katze breit gemacht. Vorsichtig scheuchte ich sie hinunter.
»Müssen turbulent gewesen sein, die letzten Tage.« Mit kritischem Blick nahm sie mein Gesicht unter die Lupe.
»Sieht man mir das etwa schon an?«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Sterne haben aber so etwas angedeutet. «
»Der Spuk hört einfach nicht auf.« Ich erzählte ihr von dem Stacheldraht, Doktor Wolters und Rieke Lohoff, von den Brötchen und den blockierten Tränken. »Ich bin heute zur Polizei gegangen und habe Anzeige gegen Unbekannt erstattet.«
Einmal mehr verlieh ihr Blick ihrer Überzeugung Ausdruck, dass eine solche Anzeige zu nichts führte. »Was sagt denn dein Anwalt?«
»Ich habe ihn noch nicht wieder gesprochen. Mittwoch habe ich das Kündigungsschreiben in seine Kanzlei gebracht. Er war aber leider nicht da.«
»Bist du sicher, er taugt etwas?«, fragte sie zweifelnd. »Willst du nicht lieber zu Viktor Janssen gehen?«
»Ich war bei Viktor Janssen.«
»Und?«
»Er hat Leberkrebs im Endstadium. Als ich ihn besuchte, war er im Tiefschlaf.«
»Was soll dieser Unsinn, Carla?« Es schien sie eine ungeheure Selbstbeherrschung zu kosten, mir nicht an die Stirn zu fassen, um zu prüfen; ob ich Fieber hatte.
»Das ist kein Unsinn«, entgegnete ich verhalten. »Viktor Janssen ist mein Vater. Ich habe ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen und jetzt auch nur besucht, weil sein Lebensgefährte nicht lockergelassen hat.« Obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich hatte auch eigene Gründe gehabt.
Ganz offensichtlich fiel es ihr schwer, diese Information zu verdauen. »Dein Vater?«
Ja. Meine Mutter und ich sind hier weggezogen, als ich vierzehn war. «
»Ist Viktor Janssen nicht homosexuell?« Sie hatte laut gedacht.
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