Nur ein Gerücht
mehr. Diese Gummiteile steckten hinter den Metallzungen und haben die Ventile blockiert. Die Pferde hätten heute Abend kein Wasser bekommen.«
Nachdenklich legte sie ihre Stirn in Falten. »Als ich die Pferde heute Morgen auf die Weide gebracht habe, sind Nena und Max dort sofort zur Tränke gelaufen. Das hat mich gewundert ...«
Ich nahm mich zusammen, um nicht zu fluchen. Jemand mit mehr Erfahrung als Heide hätte in so einem Fall automatisch die Tränken im Stall kontrolliert. »Wenn die Pferde solchen Durst hatten, dann haben die beiden Tränkanlagen höchstwahrscheinlich gestern schon nicht mehr funktioniert.« Ich sah auf die beiden Hartgummiteile in meiner Hand. »War Bastis Großvater gestern Abend im Stall?«
»Ich habe ihn nicht gesehen.« An ihrem Blick war deutlich zu erkennen, dass sie wusste, worauf ich hinauswollte. »Ich werde ein Auge darauf haben - ich meine auf die Tränken.«
»Danke!«
In meinem Büro machte ich mir Luft und trat mit aller Kraft gegen einen der Stühle. Er kippte mit lauten Getöse um und landete in einer Ecke. Tränen schossen mir in die Augen. »Geht's Ihnen jetzt besser?«
Erschrocken drehte ich mich um und starrte die Frau an, die mit amüsiertem Gesichtsausdruck im Türrahmen stand. »Seit wann stehen Sie schon da?«, fragte ich entsetzt.
Sie zwinkerte mir zu. »Was glauben Sie?«
»Aha.« Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und fasste mein Gegenüber ins Auge.
Sie wirkte sportlich, war schätzungsweise Anfang fünfzig, hatte ihre rötlich blonden Haare zu Zöpfen geflochten und trug eine Nickelbrille aus Horn auf ihrer mit Sommersprossen übersäten Nase.
»Rieke Lohoff.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen.
Bevor ich sie ergriff, wischte ich mir meine tränenfeuchte Hand an der Reithose ab. »Carla Bunge.«
»Ich nehme übrigens immer Geschirr«, sagte sie mit Blick auf den Stuhl, den ich in die Ecke gepfeffert hatte.
Während ich sie mit einem dankbaren Lächeln bedachte und den Stuhl wieder auf die Beine stellte, ging sie zum schwarzen Brett und studierte eingehend die Preisliste. Kaum war sie damit fertig, nahm sie wieder mich in Augenschein.
»Es ist bestimmt nicht leicht, so einen Hof zu führen«, meinte sie nachdenklich.
»Würden Sie das zu einem Mann auch sagen?«
»Ja.« Sie hatte nicht lange über ihre Antwort nachdenken müssen. »Wie lange gibt es den Bungehof schon?«
»Fünf Jahre.«
»Aber Sie machen das nicht alleine, oder?«
»Ich habe zwei Mitarbeiter. Auf einem Hof dieser Größe ist die Arbeit allein nicht zu schaffen.«
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit, mich ein bisschen herumzuführen?«
»Na klar, kommen Sie!«
Sie folgte mir durch den Quergang in die Stallgasse und sah sich dort in aller Seelenruhe um. »Warum stehen denn so viele Boxen leer?«
»Die Pferde sind auf der Weide oder werden gerade geritten.«
»Heißt das, Sie sind ausgebucht?«
»Falls Sie ein Pferd hier unterstellen wollen, Frau Lohoff, muss ich Sie enttäuschen. Wir haben keine einzige Box mehr frei.« Und ich hoffte, das würde auch so bleiben. »Wir haben zwar eine Warteliste, aber die wird kaum je kürzer. Auf dem Bungehof gibt es so gut wie keinen Wechsel.«
»Zufriedenheit auf ganzer Linie?«, fragte sie überrascht.
»Ja.«
Sie schlenderte aus dem Stall und sah sich draußen nach allen Seiten um. »Wo sind denn die Weiden?«
»Dahinten.«
Ihr Blick folgte meinem ausgestreckten Finger. »Haben Sie noch so viel Zeit?«
Ich nickte. Zwar wollte ich mit einem der Pensionspferde im Viereck trainieren, aber das konnte ich auch zehn Minuten später tun. Gemeinsam gingen wir den kleinen Feldweg zu den Weiden, wo die Pferde friedlich in der Sonne grasten. Als wir zu Oskars Koppel kamen, rief ich ihn zu mir. Wiehernd kam er angaloppiert, verlangsamte jedoch schlagartig das Tempo, als Rieke Lohoff einen Schritt auf ihn zuging.
»Komm her, Oskar, sie tut dir nichts.«
Zögernd kam er näher.
»Er hat schlechte Erfahrungen gemacht.« Ich streckte meine Hand aus und zog ihn an seinem Halfter zu mir heran.
»Hier auf dem Hof?«
»Nein, nicht hier, bei seinem früheren Besitzer, er hat ihn mehrfach verprügelt und übel zugerichtet.« Ich strich ihm über die Stirn. »Wo haben Sie Ihr Pferd stehen?«
»Ich habe kein Pferd.«
»Oh, ich hatte angenommen, Sie sind auf der Suche nach einem geeigneten Stall. Wollen Sie sich zum Unterricht anmelden oder einen Ausritt machen?«
»Besser nicht.«
»Warum sind Sie dann hier?«, fragte ich
Weitere Kostenlose Bücher