Nur ein Hauch von dir
Unterhaltung in sicheren Gewässern zu halten, bis Grace’ Vater kam, um sie abzuholen.
Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie müde ich war, und ich war froh, in mein Bett krabbeln zu können, ohne von der Nachtschwester gestört zu werden, die noch eine Runde Pillen schmiss. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten gelang es mir, in einen friedlichen, traumlosen Schlaf zu fallen.
20 Möglichkeiten
Am nächsten Morgen streckte ich mich genüsslich in dem Bewusstsein, nicht zur Schule zu müssen. Die Vorhänge wehten vor dem Fenster, und durch einen Spalt konnte ich sehen, wie die Sonne auf die Bäume draußen knallte. Kaffeeduft hatte mich aufgeweckt – ein großer Becher wartete auf meinem Nachttisch – und der Geruch von frisch gebackenem Brot, der aus der Küche emporstieg.
Ich drehte mich um und spürte ein sanftes Streicheln an meinem Arm.
»Guten Morgen, du Schöne, bist du jetzt wach?«
»Callum! Wie lange bist du schon hier?« Ich kramte rasch nach dem Spiegel, den ich jetzt immer in meiner Nähe deponiert hielt, und versuchte nicht daran zu denken, wie schrecklich ich aussah, wenn ich noch so verschlafen war.
»Stunden!«, antwortete er verschmitzt.
Er wirkte so vertraut auf meiner schäbigen alten Bettdecke. Ich schaffte es schließlich, mich von der Vorstellung loszureißen, wie es wäre, wenn er wirklich in – oder zumindest auf – meinem Bett liegen würde. »Also wenn du schon hier bist, kannst du mir auch genauso gut von gestern Abend erzählen. Wie ist es gelaufen?«
Ich spürte, wie er sich hinter mir im Bett zurechtsetzte, und konnte sein Gesicht sehen, während er mich vom Arm bis zur Hüfte streichelte.
»Es war ein ziemlich aufschlussreiches Gespräch.« Etwas abwesend erforschte er weiter meine Haut. Es fiel mir immer schwerer, mich zu konzentrieren.
»Was denn? Jetzt mach schon!«
Er hörte mit dem Streicheln auf und schaute mir in die Augen. Ich konnte sehen, wie aufgeregt er war.
»Wir haben lange über mögliche Zusammenhänge diskutiert. Matthews Meinung nach«, er unterbrach sich, um mir wieder über den Rücken zu streicheln, »besteht für dich wahrscheinlich keinerlei Gefahr. Er kann sich nicht vorstellen, wie das Amulett dich zu irgendetwas zwingen könnte, solange du es jederzeit abnehmen kannst.«
»Gott sei Dank! Allerdings bist du schon ein ganz schön starker Anreiz, es anzubehalten …«
»Dann, schätze ich mal, hängt es davon ab, für wie gefährlich du mich hältst.« Er stieß ein spielerisches Knurren aus und tat so, als würde er gleich die Zähne in meinen Nacken schlagen. So schön die Rumalberei auch war, ich musste ihn etwas bremsen, denn wir hatten einiges zu besprechen.
»Oh, das muss ich dir noch erzählen! Gestern Abend habe ich Grace von dir erzählt.«
»Wirklich? Müssen wir jetzt jeden Moment damit rechnen, dass die Männer in den weißen Kitteln kommen?«
»Ich hab ihr doch nicht die Wahrheit gesagt! Ich hab erzählt, das ich einen phantastischen Typ kennengelernt hab, der Callum heißt und den ich liebe.«
Er strahlte mich an. »Das klingt ziemlich wahr. Aber hat das nicht neue Fragen aufgeworfen?«
»Nein. Ich hab gesagt, dass ich dich im Internet kennengelernt hätte.«
»Hm, das musst du mir erklären. Ich hab im Kino vom Internet gehört, es aber noch nie gesehen.«
»Was! Du hast noch nie das Internet gesehen?« Ich konnte es nicht fassen.
»Wie denn?«, verteidigte er sich. »Ich kenne so ungefähr das Prinzip, aber ich weiß nicht, ob ich es benutzt hab, bevor ich hergekommen bin. Es ist eine Stelle, wo du Fragen stellen kannst, richtig?«
Ich war verdattert. Wie sollte ich denn das Internet erklären?
»Wo soll ich anfangen? Du willst doch jetzt nicht in echt einen Vortrag von mir hören, oder? Wir haben doch wichtigere Dinge zu besprechen.«
»Finde ich auch. Andererseits hätte ich eine Menge Fragen, die ich gerne mal stellen würde.« Er klang enttäuscht.
»Ich hab schon im Netz nach dir gesucht.«
»Ausgezeichnet.« Das schien ihn sichtlich zu freuen. »Hast du irgendwas Interessantes gefunden?«
»Nein. Ich hab nach Ertrunkenen und Blackfriars Bridge gesucht, um vielleicht einen Hinweis auf deine Identität zu bekommen. Ich hab gedacht, da ihr zu zweit gewesen seid, hätte es vielleicht in der Zeitung gestanden.«
»Aber da war nichts?«
»Nein. Jede Menge über Ertrunkene in der Themse, aber nichts, was auf euch zu passen schien. Als ich im Krankenhaus war, hab ich noch mal darüber nachgedacht und mich gefragt,
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