Nur ein Hauch von dir
schon. Wir treffen uns in fünf Minuten.«
Schnell rannte ich zur U-Bahn runter und stellte fest, dass die Waterloo- und City-Line von verschiedenen Stellen der Station abfuhren. Vor mich hin brummend, fand ich schließlich doch die richtige Stelle und sprang in den ersten Zug. Es war eine kurze U-Bahn-Strecke mit nur zwei Haltestellen, und mir fiel auf, dass es in der U-Bahn erheblich weniger gelbe Lichter gab. Die meisten Leute waren formell gekleidet und sahen aus, als wären sie genervt und gestresst. Nach wenigen Minuten konnte ich die Rolltreppe nach oben in die Sonne rennen.
Als ich auf die Straße trat, war Callum sofort bei mir, wahrscheinlich hatte er schon nach mir Ausschau gehalten. Er leitete mich die Straße entlang und erzählte dabei ein bisschen über die Sehenswürdigkeiten, an denen wir vorbeikamen. Es war, als hätte ich einen persönlichen Fremdenführer im Kopf, nur dass er auch noch ständig Bemerkungen über die Auren der Leute machte, denen wir begegneten.
Die Mehrzahl der Menschen war bedrückt, und ich hatte nicht viele Möglichkeiten, meine neue Fähigkeit einzusetzen. Während wir weitergingen, dachte ich, ich könnte – wenn ich sehr genau hinsah – vielleicht eine Spur von Rot um einige Köpfe herum wahrnehmen.
Je näher wir zur Kathedrale kamen, desto unruhiger wurde Callum. Ich überlegte, was ich sagen könnte, um ihn etwas zu beruhigen, doch so nervös, wie ich selbst war, hätte ich sowieso nicht viel zustande gebracht. Endlich kamen wir an die Stufen, die zum Eingang der Kathedrale führten. Die beeindruckende Säulenhalle erhob sich über uns, und plötzlich bekam ich Angst.
»Callum, können mich die anderen Versunkenen sehen? Erwarten sie mich?«
»Hab keine Angst«, flüsterte er. »Die meisten sind draußen und sammeln.«
So richtig glauben konnte ich ihm das nicht. Mein Besuch musste ein besonderes Ereignis sein, ich hätte drauf gewettet, dass die meisten von ihnen dabei sein wollten.
»Du bist ein solcher Lügner. Komm schon, wie viele werden zusehen?«
»Okay, ich wollte bloß, dass du dich nicht unwohl fühlst. Ich denke, dass so ziemlich alle da sein werden.«
»Oh! Ich hätte besser nicht gefragt. Und Matthew?«
»Er wartet schon.«
»Auf dich, hoffe ich.«
»Nein! Auf dich natürlich. Mich sieht er ja jeden Tag.« Er versuchte vergeblich, ganz locker zu klingen.
Ich holte tief Luft. »Was muss ich machen?«
»Sobald wir oben sind, holt Matthew dich ab.« Es hörte sich an, als wäre er genauso nervös wie ich.
Mein Herz hämmerte. »Hast du noch irgendeinen guten Rat oder so was?«, fragte ich, als wir die Stufen hochstiegen.
»Sei einfach du selbst. Das ist das Beste.« Er küsste mich schnell, und dann wisperte er: »Bleib hinter den Säulen vor dem Haupteingang stehen. Ich bin bald wieder bei dir.«
Überall auf den Stufen saßen Touristen, einige schauten einfach Ludgate Hill hinab oder studierten den Stadtplan, andere saßen da und aßen Eis oder ein Sandwich, und wieder andere genossen schlicht die Sonne. Ich suchte mir meinen Weg zwischen ihnen nach oben und trat dann zwischen die gewaltigen Säulen. Es war verhältnismäßig still, da sich der Touristeneingang an der anderen Seite befand. Die großen Türen hier wurden offensichtlich nur zu besonderen Anlässen geöffnet. Ich blieb an einer etwas abgelegenen Stelle stehen, denn ich wollte bei dem, was ich vorhatte, möglichst wenig Publikum haben.
Mein Mund war trocken vor Nervosität. Ich nahm einen Schluck aus meiner Wasserflasche, bevor ich den kleinen Spiegel hervorholte. Mein Kopfhörer saß schon an Ort und Stelle. Schnell suchte ich meine Umgebung ab und hätte fast den Spiegel fallen lassen, als ich plötzlich erkannte, dass ich mitten in einer riesigen Menge von Gestalten mit dunklen Umhängen stand. Für einen ganz kurzen Augenblick war ich starr vor Angst, und der Drang wegzulaufen überwältigte mich fast, doch dann erblickte ich Callum, der mich ängstlich beobachtete, und es gelang mir, mich zu beruhigen. Ich machte das alles für ihn, für uns! Ich richtete meine Kopfhörer und sagte deutlich: »Hallo, Matthew, Callum hat mir gesagt, du wolltest mich treffen.«
Da war ein Prickeln an meinem Handgelenk, ein wenig anders als das, an das ich gewöhnt war, und ich schaute in den Spiegel. Matthew stand vor mir, hatte meine Hand ergriffen, und unsere Amulette waren miteinander verschmolzen. Er war kleiner und stämmiger, als ich erwartet hatte, mit kurzen grauen Haaren und
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