Nur ein Jahr, Jessica!
nur kleine, schnell hingekritzelte Grüße von ihm. Lange hatte ich keinen richtigen, langen, liebevollen Brief erhalten.
Dafür kam eines Tages ein anderer Brief, von Frau Ingwart umadressiert. Ein Brief an „cand. med. Jessica Berner“. Au verflixt! Es war Frau Frisch-Nielsen, welche die Post reingeholt hatte und mir den Brief aushändigte. Wenn sie das nun gesehen hatte – ich wollte es doch nicht.
Aber der Inhalt des Briefes zwang mich dazu, in Kiel anzurufen. Es ging um meine weiteren Studien, und ich mußte entweder Reni oder Falko bitten, etwas für mich zu erledigen. Natürlich wählte ich dann Falko. Wenn ich sowieso ein Ferngespräch bezahlen mußte, dann wollte ich doch seine Stimme hören!
Also rief ich die Tankstelle an. Ich war allein im Haus, es war Freitag – die Gnädige war in der Stadt, und Frau Brösen wurde heute schnell fertig und machte sich aus dem Staube.
Eine fröhliche Lehrlingsstimme meldete sich. Ich fragte nach Falko.
„Der ist nicht mehr hier“, ertönte die Stimme aus Kiel. „Gestern hat er Schluß gemacht.“
„Ach – wissen Sie vielleicht, wo ich ihn erreichen kann?“ fragte ich hilflos.
„Keine blasse Ahnung. Er klebte ein D-Schild auf seinen neuen Sportwagen und sauste los, Richtung Autobahn, mit einer flotten Biene neben sich!“
„Eine was…?“ hauchte ich.
„Dufte Biene!“ sagte die übermütige Lehrlingsstimme. „Eine kesse Motte!“
Ich murmelte etwas und legte den Hörer auf.
Falko war losgesaust in seinem neuen Sportwagen – seit wann hatte er einen Wagen? Warum hatte er mir kein Wort darüber erzählt?
Falko mit einer „flotten Biene“. Großer Gott, bedeutet das – könnte es bedeuten, daß… Nein, das konnte nicht wahr sein!
In diesem Augenblick wußte ich, daß ich alles, alles ertragen konnte, alles auf der Welt, nur das eine nicht: Ich durfte Falko nicht verlieren!
Warum hatte er in der letzten Zeit so wenig geschrieben?
Aber – er liebte mich doch – er liebte mich seit drei Jahren, so wie ich ihn. Er hatte es doch unzählige Male gesagt…
Aber so was kam vor. Ich hatte es oft genug bei meinen Freundinnen gesehen. Manch eine von ihnen hatte einen Herzensfreund gehabt, war über die Ohren verliebt – und dann ging es doch in die Brüche. Ja, es kam vor.
Aber bei Falko und mir doch nicht!
Ich fühlte, wie ich blaß wurde, mein Herz klopfte wie ein Hammer, und im Hals bildete sich ein Kloß, ein widerlicher Kloß, er wuchs und wuchs. Jetzt liefen mir die Tränen übers Gesicht – nein, es konnte nicht sein, es durfte nicht sein!
Das sah doch Falko nicht ähnlich! Wenn so etwas Schreckliches passieren sollte, daß er mich überhatte, dann würde er es mir doch klipp und klar sagen! Er würde mir reinen Wein einschenken, wie bitter er auch schmecken mochte.
Aber – vielleicht würde er es noch tun. Er würde nicht ganz einfach aus meinem Leben verschwinden. Er würde ehrlich sein, mir sagen… Ja, aber wie schwer würde es ihm sein, mir so weh zu tun. Er scheute sich bestimmt davor – er schob es auf-, überlegte sich vielleicht, wie er es mir beibringen sollte…
Mein Falko. Das Zentrum meines Lebens. Meine erste, große, wunderbare Liebe. Falko, den ich heiraten wollte. Falko, der einzige Mann, mit dem ich Kinder haben wollte.
Er befand isch irgendwo unterwegs mit einem anderen Mädchen. In einem Auto, von dem er mir kein Wort erzählt hatte.
Wenn ich zu wissen bekommen hätte, daß ich nie mein Studium hätte vollenden können – wenn Mutti mir erzählt hätte, es ginge doch nicht mit dem Geschäft, sie müßten alles verkaufen und das Haus dazu –, es hätte nicht so weh getan wie dies.
An diesem Tag erlebte ich die schrecklichsten Stunden meines Lebens. Ich hatte nicht gewußt, daß es möglich war, so zu leiden.
Wie ich es überhaupt schaffte, meine Arbeit zu erledigen und ein halbwegs vernünftiges Essen auf den Tisch zu bringen, weiß ich nicht.
Als ich servierte, sah mich der Direktor an. „Sie sehen so blaß aus, Jessica, geht es Ihnen nicht gut?“
„O doch. Ich habe nur Kopfschmerzen“, murmelte ich.
Essen konnte ich nicht. Ich trank Kaffee, starken schwarzen Kaffee. Und in solchen Mengen, daß mein Magen rebellierte. Ich rannte zur Toilette und mußte mich übergeben.
Als ich blaß und elend von der Toilette kam, stand Frau Frisch-Nielsen in der Halle.
„Gehen Sie doch ins Bett, Jessica!“
„Ja“, murmelte ich. Mir war es so schwindelig, daß ich mich an die Wand lehnen mußte. „Ich glaube,
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