Nur ein Jahr, Jessica!
Maschine wie diese“, meinte ich. „Dann hätte sie es ganz sicher auch so gemacht.“
Dann schwieg sie und sah erstaunt zu, wie schnell das Heften ging. Nachher staunte sie noch mehr, als ich den ganzen Saum unsichtbar mit der Blindstichschiene machte und nachher das Ende des Heftfadens faßte. Rrrrutsch! – war der Faden herausgezogen.
Ich hatte das Sesamwort gefunden: „Das hätte Ihre Mutter bestimmt getan.“ Bernadette Grather hatte recht. Was „Mutti“ und „Vati“ ihr beigebracht hatten, das saß. Was sie bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr gelernt hatte, das konnte sie. Gegen alles weitere wehrte sie sich.
Während wir dasaßen, ich beim Nähen, sie beim Auftrennen – sie half mir, auch eine Bluse zu ändern –, fragte ich vorsichtig, und sie erzählte bereitwillig. Ja, sie hatte sehr jung geheiratet, ihr Vater starb früh, und die Mutter war wohl erleichtert, daß die Tochter einen wohlhabenden Mann bekam. Zwei Jahre später starb auch die Mutter, und so hatte sie keinen Menschen mehr auf der Welt, der sich die Mühe machte, der hübschen kleinen Elise etwas beizubringen. Und da ihre Mutter keinen Geschirrspüler, keinen Heimbügler und keine Küchenmaschine besessen hatte, stand sie vollkommen ratlos solchen Dingen gegenüber.
Zum erstenmal zeigte sie Interesse für etwas Neues. Ja, wenn Mutti eine solche Maschine gehabt hätte… Mutti hätte auch die Nähte mit Zickzackstichen sauber gemacht…
Als ich das Nähen unterbrechen mußte, um in die Küche zu gehen, saß die kleine Gnädige und übte Knopflochnähen auf einem alten Stück Stoff. Irgendwie sah sie so rührend aus wie ein Kind, das eifrig versucht, eine Arbeit zu erlernen. Ihre blonden Locken fielen ihr auf die Stirn, das hübsche Gesicht bedeckte eine leichte Röte.
Wie war Bernadette Grather klug, dachte ich, als ich anfing, die Kartoffeln zu schälen. Wie recht hatte sie. Diese kleine, hilflose, vernachlässigte, reiche Frau brauchte Hilfe – und es war schön, festzustellen, daß ich ihr helfen konnte!
Jetzt hieß es beinahe jeden Tag: „Jessica, wollen wir ein bißchen nähen?“
Wenn ich mich von meinen anderen Pflichten losreißen konnte, sagte ich ja.
Als ich eines Tages einen Berg Wäsche vor mir hatte und unbedingt plätten mußte, kam sie mit ins Plättzimmer und übernahm das Handplätten, während ich die Heißmangel bediente. So entstand allmählich eine nette Zusammenarbeit, die eigentlich uns beiden Spaß machte.
Als ich mein Kleid gekauft hatte, wurde es eifrigst begutachtet und für zufriedenstellend befunden.
„Sie haben aber auch zugenommen!“ meinte sie. Was ich lachend zugab. Vielleicht lag es an dem dauernden Kosten, ich mußte ja als gute Köchin immer kontrollieren, ob meine Gerichte nun auch richtig gewürzt und gesalzen und überhaupt genießbar waren!
Eines Tages, als der Geschirrspüler auf Hochtouren lief, bat sie mich, ihr die Schablonen für Zierstiche zu zeigen. Natürlich machte ich das – ich benutzte nach wie vor die Gebrauchsanweisung der Nähmaschine als Bettlektüre.
„Haben Sie jetzt auch Zeit, Jessica?“ fragte sie.
„Aber gewiß, gnädige Frau. Das mache ich, während ich abwasche! Das ganze Geschirr von gestern mittag und gestern abend und heute früh!“
„Ach!“ sagte sie zögernd und sah zum erstenmal aus, als dächte sie gründlich über etwas nach.
Am folgenden Tag stand sie neben mir, als ich den Geschirrspüler einschaltete.
Als ich glaubte, einen Ausdruck des Zweifels in ihrem ratlosen kleinen Gesicht zu sehen, erklärte ich: „Wie schön wäre es gewesen, wenn Ihre Mutter eine solche Maschine gehabt hätte! Wie hätte sie sich gefreut!“
„Ja, dann hätte sie nähen können während des Abwaschens“, stimmt sie mir zu.
Als ich am folgenden Sonntagabend nach Hause kam, empfing mich Frau Frisch-Nielsen im Flur, strahlend und mitteilungsbedürftig.
„Jessica, heute habe ich selbst abgewaschen! Mit der Maschine! Es ging prima!“
Ich konnte diese Aufmunterungen gebrauchen. Denn jetzt, eine Woche vor Semesteranfang, war die Sehnsucht in mir schlimmer denn je. Das Gefühl, hier kochen, waschen und plätten zu müssen, während meine Kommilitonen, meine Studienkameraden weiterstudieren durften – oh, was gäbe ich dafür, schnell, schnell nach Kiel fahren zu können und bei der ersten Vorlesung dabeizusein!
Außerdem erschien mir Falko beunruhigend schweigsam. Er arbeitete noch an seiner Tankstelle und hatte anscheinend alle Hände voll zu tun. Ich bekam
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