Nur ein Jahr, Jessica!
eine Überraschung! Wollen Sie etwas holen, oder…“
„Nein, nein, ich komme nur, um mit Ihnen zu sprechen.“
„Mit mir? Ja bitte – darf ich Ihnen etwas anbieten?“
„Nein, vielen Dank! Ich habe einen Auftrag vom Herrn Direktor – ich soll Ihnen etwas ausrichten…“
Fräulein Clewe sah aus, als fühle sie sich nicht so ganz wohl in ihrer Haut. Sie hatte im Wohnzimmer Platz genommen, dann holte sie ein Kuvert aus ihrer Handtasche. Dann glitt ihr Blick über das Strampelhöschen auf dem Tisch.
„Ja, also, Fräulein Berner, um es kurz zu machen. Ich soll Ihnen dieses Kuvert überreichen, es enthält ein Monatsgehalt. Der Herr Direktor läßt ausrichten, daß er in Anbetracht der Umstände es besser fände, wenn – hm – das Arbeitsverhältnis sofort gelöst würde.“
„Was?“ rief ich. „Sofort gelöst – das ist also eine höfliche Umschreibung von ,Machen Sie, daß Sie wegkommen!’ Ja natürlich, ich werde sofort meine Sachen packen, aber können Sie mir verraten, warum?“
„Das müssen Sie sich doch selbst erklären können, Fräulein Berner. Sie wollen doch etwa nicht hierbleiben, bis das Kind da ist?“
„Das Kind? Was für ein… Aber du lieber Himmel, glauben Sie denn, daß ich ein Kind kriege?“
Fräulein Clewe sah wohl, daß mein Entsetzen echt war. Ihre Stimme wurde ein bißchen unsicher, als sie antwortete: „Sie haben es doch gestern früh dem Herrn Direktor gesagt – und daß Sie so dringend das Geld brauchen…“
Ich fiel wie ein Sack in einen Sessel. „Fräulein Clewe! Das ist das größte Mißverständnis des Jahrhunderts! Also, hören Sie gut zu: Ich bekomme kein Kind! Und ich habe etwas ganz anderes gestern gemeint. Ich dachte, der Herr Direktor sei dahintergekommen, daß ich Medizinstudentin bin, hier kam nämlich ein Brief für mich an mit ,Cand. med.’ Und daran dachte ich, als ich sagte, es hätte die Sache nur kompliziert, wenn ich alles erzählt hätte. Aber jetzt muß es ja raus! Ich hatte vor, bis zum Frühjahr hierzubleiben, denn dann hätte ich genug Geld gespart, um in mein siebtes Semester steigen zu können. So, das ist die Wahrheit, und das richten Sie bitte dem Herrn Direktor aus!“
Fräulein Clewe saß da mit halboffenem Mund und aufgesperrten Augen. „Aber dann… ich meine… dann besteht doch kein Anlaß für Sie, aufzuhören – ich schreibe dem Herrn Direktor den Zusammenhang, dann bleiben Sie doch hier!“
„Nein, das kommt nicht in Frage. Würden Sie das vielleicht an meiner Stelle tun? Wenn ich rausgeschmissen werde auf einen bloßen Verdacht hin, der aus der Luft gegriffen…“
„Einen Augenblick, Fräulein Berner! Überlegen Sie es sich, so ganz aus der Luft gegriffen ist es nun auch nicht. Erstens haben Sie selbst mehrmals gesagt, sie hätten so sehr zugenommen…“
„Hab ich auch! Ist das ein Wunder bei dem erstklassigen Essen in diesem Hause? Als ich kam, war ich untergewichtig nach sechs sehr anstrengenden Semestern und einem aufregenden Examen, jetzt habe ich mein Normalgewicht!“
„Dann stricken Sie Babysachen…“
„Tu ich! Bitte sehr, hier sehen Sie es. Es wird heute zu meiner besten Freundin geschickt, sie erwartet nämlich ein Kind! Herrgott, man kann doch wohl auch für andere Babys stricken!“
„Dann fingen Sie plötzlich an zu brechen…“
„Zweimal, ich weiß es genau. Einmal weil ich bei Bekannten ein sehr fettes Essen bekommen hatte und einmal aus reiner Nervosität. Selbst ein Hausmädchen kann persönliche Sorgen haben, die einem auf den Magen schlagen!“
„Aber, Fräulein Berner – dann zeigten Sie ja ganz offen, daß Sie – hm – engere Beziehungen zu einem Mann haben, neulich übernachtete doch Ihr Freund bei Ihnen…“
„Moment mal! Mein Freund ist mein Verlobter, dies nebenbei gesagt. Und er kreuzte um sieben Uhr morgens hier auf, nachdem er die Nacht durchgefahren war, um mich kurz zu besuchen. Wir haben in meinem Zimmer gefrühstückt, ich habe der gnädigen Frau gebeichtet, daß ich etwas Kaffee und ein paar Brote zurechtmachte. Dann gingen wir in den Zoo, und abends fuhr er zurück. So, dies ist der Zusammenhang. Haben Sie noch mehr Beweise?“
Fräulein Clewe sah mich an, schwieg einen Augenblick, und dann sprach sie langsam und wohlüberlegt: „Ich verstehe, daß Sie empört sind, Fräulein Berner. Aber versuchen Sie doch, gerecht zu sein. Was würden Sie denken, falls Sie ein junges Mädchen im Haus hätten und dieses Mädchen erstens auffällig zunähme, dann zu brechen
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